Der rechte Rand

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31. Dezember 2013 Joachim Bischoff und Bernhard Müller

Armut und Ignoranz der Sozialdemokratie

Die Hamburger Tafel mit ihren 16 Lebensmittelausgabestellen ist vielerorts komplett überlastet. In Altona, Eimsbüttel oder Osdorf wurden bereits Aufnahmestopps erlassen. Immer öfter müssen Bedürftige weggeschickt werden, da die Lebensmittel nicht ausreichen. Die Hamburger Tafel beliefert neben den Lebensmittelausgabestellen, die meist von kirchlichen oder sozialen Trägern betrieben werden, rund 80 soziale Einrichtungen in der Hansestadt. Um Missbrauch zu verhindern, wurden entsprechende Ausweise mittlerweile an die jeweilige Ausgabestelle gebunden. Die Sozialbehörde reagierte abwiegelnd auf den Hilferuf der Hamburger Tafel. »Man sollte nicht daraus schließen, dass die Armut in Hamburg in den vergangenen zwei Jahren generell gestiegen ist«, sagte Sprecher Marcel Schweitzer.

Immer deutlicher wird der politische Kurs der Hamburger Sozialdemokratie: Problemverdrängung und Verleugnung. Gleich ob dies Armut, soziale Spaltung, Flüchtlinge und Asylsuchende oder Wohnungsnot betrifft – in Hamburg gibt es kein Problem. Der Paritätische Wohlfahrtsverband schlägt Alarm: »In der Hansestadt sind nach einer aktuellen Studie der Wohlfahrtsverbände 14,8 Prozent der Menschen von Armut bedroht. Zwar liegt der Bundesschnitt der Untersuchung zufolge bei 19,6%. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg zeigte sich dennoch »zutiefst besorgt«. Denn der vorgestellte Armutsbericht zeige, dass die Armutsquote in der Hansestadt trotz sinkender Arbeitslosigkeit und zurückgehender Hartz-IV-Quoten auf den höchsten Stand seit 2006 gestiegen sei.

Gleichwohl – unbeschadet der vielen empirischen Tatbestände zeichnet sich der Hamburger SPD-Senat durch eine hartnäckige Ignoranz gegenüber der sozialen Spaltung der Stadt aus. Im neuen  Sozialbericht (Dezember 2013) wird ausgeführt, »dass weite Teile der Hamburger Bevölkerung an Bildung und Arbeit teilhaben und ökonomisch abgesichert sind«. Trotz einer im Bundesvergleich deutlich stärkeren Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen in der Stadt der Millionäre1 sei die »Armutsgefährdung in Hamburg rückläufig«. Die Hamburger Medien berichten über Rekordstände bei Grundsicherung, überlaufenen Tafeln, wachsender Kinderarmut – aber unbeleckt von dieser Wirklichkeit behaupten die politisch Verantwortlichen: Es gibt kein Problem.

Die Abkopplung von Wirtschafts- und Armutsentwicklung gilt für die Entwicklung in der »Berliner Republik« insgesamt. So ist die Armutsquote2 in Deutschland seit 2006 kontinuierlich gestiegen und erreichte im »Boomjahr« 2011 (Wirtschaftswachstum 3,9%) mit 15,1% einen neuen Rekord. Dieser Trend hat sich in 2012 fortgesetzt. »Die Armutsentwicklung hat sich, so zeigen die Daten, endgültig von der Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt.«

In Hamburg hat man sich diese Entwicklung eine Zeitlang schön reden können, weil die Armutsquote in einigen Jahren gegen den Bundestrend leicht gesunken ist. Der sprunghafte Anstieg des Anteils armer Menschen in der Stadt in 2011 (von 13,3 auf 14,7%) hat dieser schönfärberischen Sichtweise dann aber den Boden entzogen. Auch 2012 lag dann Hamburg mit einer auf 14,8% gestiegenen Armutsquote ganz im Bundestrend.

Der Hauptgrund für diese gesellschaftliche Fehlentwicklung liegt in der Prekarisierung der Lohnarbeit und der daraus resultierenden Entkoppelung der Einkommensentwicklung der Lohnabhängigen und der auf Sozialleistungen angewiesenen BürgerInnnen von den Zuwächsen der gesellschaftlichen Wertschöpfung. »Die wachsende Armut ist, trotz der scheinbar positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt, ein deutlicher Beleg für Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Viele Menschen haben Arbeit, aber immer weniger Menschen können davon leben«, sagte Joachim Speicher, Geschäftsführer des Paritätischen Hamburg.
So gab es in Hamburg im Oktober 2013 100.000 BürgerInnen in Unterbeschäftigung (davon 71.200 Arbeitslose). Als LeiharbeiterInnen arbeiteten 30.000, geringfügig beschäftigt waren 172.000 (davon 104.000 ausschließlich). 36.000 Lohnabhängige waren trotz Arbeit arm und deshalb auf zusätzliche Sozialleistungen (»Aufstocker«) angewiesen.

Das Ausmaß von Niedriglohnarbeit in Hamburg hat der DGB in einer Studie deutlich gemacht. Danach verdienten im Jahr 2010 118.136 oder 19,1% der Vollzeitkräfte miserabel. Also rund jeder fünfte Beschäftigte. Besonders betroffen von Niedriglöhnen sind dabei die Beschäftigten ohne Berufsabschluss. So zählten in Hamburg bereits13,3% aller Vollbeschäftigten mit Berufsabschluss, aber auch erschreckende 33,9% der Geringqualifizierten zu den Niedrigverdienern. Und: Wer wenig verdient, hat oftmals auch ein instabiles Arbeitsverhältnis und ein hohes Entlassungsrisiko. Gleichzeitig droht den Betroffenen Altersarmut. Die wachsende Altersarmut kann schon heute an der Zahl von Menschen, die auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sind, abgelesen werden: 2012 waren das 34.000 BürgerInnen, davon 21.000 im Rentenalter.

Die wachsende und sich verfestigende soziale Spaltung setzt sich auf Bundes- wie Länderebene in eine wachsende sozial-räumliche Polarisierung um. So gibt es zwischen den Bundesländern eine große Schwankungsbreite bei SGB II- und Armutsquote, die bei der Armut in 2012 von 11,1% in Baden Württemberg bis 22,9% in Mecklenburg Vorpommern streut. Die Kluft zwischen »reichen« und »armen« Ländern wird immer größer. »Die bundesweiten Durchschnittszahlen verdecken, dass zwar vier Länder in 2012 eine positive Entwicklung im Sinne abnehmender Armutsquoten (Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen) aufweisen und Nordrhein-Westfalen unverändert ist, dass aber gleich elf Länder schlechtere Werte als im Vorjahr haben.«

Aber auch der Ländervergleich gibt noch kein hinreichend differenziertes Bild der räumlichen Verteilung von Armut. Zwar ist der Osten der Republik nach wie vor stärker von Armut betroffen als der Westen. Aber auch und gerade in den  westdeutschen Regionen haben sich in den letzten 20 Jahren enorme soziale Gegensätze aufgebaut. »Insbesondere für das Ruhrgebiet, das wir in unserem Armutsbericht 2011 neben Berlin erstmalig als besondere Armutsregion in Deutschland identifizierten, kann keinerlei Entwarnung gegeben werden. Ganz im Gegenteil: Die Armutsquote im Ruhrgebiet nahm in 2012 noch einmal überproportional um 0,3 Prozentpunkte zu. Ganz gegen den Bundes- und auch den Landestrend zeigt das Ruhrgebiet nach wie vor eine völlig ungebremste Armutsentwicklung. Um durchschnittlich 0,6 Prozentpunkte nahm hier die Armut seit 2006 pro Jahr zu, um insgesamt 21,5 Prozent auf eine Armutsquote von zuletzt 19,2 Prozent.«

Armut in Hamburg

Arm sein hieß im Jahr 2012 in Hamburg konkret mit weniger als 928 Euro (Einpersonen-Haushalt) bzw. 1.948 Euro (Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren) auskommen zu müssen. Von Armut betroffen waren 2012 etwa 260.000 BürgerInnen.
Armsein hat vielfältige Formen der Diskriminierung zur Folge. Das reicht von der Verdrängung aus aufgewerteten Stadtteilen bis zum Abgekoppeltsein vom gesellschaftlichen Leben, weil das Geld nicht für einen Internetanschluss oder die Fahrkarte in andere Stadtteile etc. reicht.
So finden wir denn auch in Hamburg eine regional sehr unterschiedliche Verteilung von Armut. Auch Hamburg hat seine »Armutsquartiere«, weil die wachsende Zahl von Haushalten mit sehr niedrigen Einkommen zu einer stärkeren Konzentration dieser Haushalten in den Gebieten der Stadt führt, in denen die Mietpreise niedrig sind. Das sind unsanierte Bestände in innerstädtischen Altbaugebieten und andere Quartiere mit niedriger Wohnqualität, die ein geringes Sozialprestige haben.

Diese Umsetzung der Einkommens- in eine räumliche Polarisierung der Stadt wird forciert, wenn der belegungsgebundene soziale Wohnungsbau eine immer geringere Rolle spielt – wie das in Hamburg der Fall ist. Statt preisgünstiger Wohnungen haben die diversen Stadtregierungen der letzten 20 Jahren die Aufwertung von bestimmten Quartieren (z.B. Ottensen oder St. Georg – ein Prozess, der als Gentrifizierung bezeichnet wird) gefördert, die vor allem über den Mechanismus der Mietsteigerung zu einer Vertreibung vieler BürgerInnen geführt hat.

Dadurch ist es zu einer immer stärkeren räumlichen Konzentration vieler mit sozialen Problemen beladener Haushalte gekommen. Es haben sich Quartiere herausgebildet, denen das Stigma der Armenviertel anhängt. In Wilhelmsburg, Rothenburgsort/Billbrock und Billstedt waren Ende 2011 rund 27% der EinwohnerInnen auf Transferleistungen angewiesen. Knapp ein Fünftel aller Hamburger Stadtteile weist EmpfängerInnenquoten von 18% und mehr auf. In diesen Quartieren finden wir viele von Armut besonders betroffene Erwerbslose (Armutsgefährdungsquote 2012: 50%), Alleinerziehende mit ihren Kindern sowie MigrantInnen.
Ein Drittel aller Alleinerziehenden-Haushalte ist arm. Bezogen 2006 noch 29,7% dieser Haushalte ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle, waren es 2012 bereits 35,2%. 23% aller Kinder unter sieben Jahren lebt vom Sozialgeld. Auch hier finden wir wieder die typisch räumlich-soziale Konzentration. So sind im Bezirk Mitte 42,7% der Kinder unter sieben Jahren von Armut betroffen. In Stadtteilen wie Billstedt und Wilhelmsburg liegen diese Anteile bei 47-52%.

Neben Erwerbslosen und Alleinerziehenden mit ihren Kindern sind Menschen mit Migrationshintergrund stark von Armut betroffen. Bei ihnen liegt die Armutsquote 2012 bei 28,9%. Ende 2008 waren etwa 66.000 MigrantInnen auf Sozialleistungen angewiesen, das waren etwa 27% der in Hamburg lebenden Menschen ohne deutschen Pass. Charakteristisch auch hier wieder die sozial-räumliche Konzentration. So wies der Bezirk Mitte 2012 mit 45,3% den deutlich höchsten Anteil von BürgerInnen mit Migrationshintergrund auf. In Wilhelmsburg lag der entsprechende Anteil bei 57,3%.

Innerhalb dieser Stadteile mit einer starken Kumulation prekärer Lebenslagen gibt es noch einmal eine Konzentration von Armut in bestimmten Quartieren. Hier ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch, finden sich viele Alleinerziehenden-Haushalte, liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei über 50% und der von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren aus Migrantenfamilien zwischen 65% und 80%.

Auch immer mehr ältere Menschen in Hamburg sind von Armut betroffen. So bezogen Ende 2012 6,2% aller HamburgerInnen über 65 die Grundsicherung, einen staatlichen Zuschuss zur Rente. Im Ländervergleich hat sich Hamburg damit zur Hauptstadt der Altersarmut entwickelt.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg fordert den SPD-Senat angesichts dieser Situation zurecht auf, die soziale Spaltung der Stadt und die wachsende Armut endlich ernst zunehmen, und seine politische Agenda umzustellen. Er soll sich für höhere Hartz-IV-Regelsätze einsetzen, Beschäftigungsangebote für Langzeitarbeitslose schaffen und die Quartiere zu stärken, die seit Jahren abgehängt sind.

Die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen kommt aufgrund  ihrer Repräsentativbefragungen zu der Einschätzung: »Um die zunehmende Spaltung der Gesellschaft sorgt sich fast jeder Hamburger. Unabhängig vom Geschlecht, Alter oder Einkommen sind fast alle gleichermaßen der Meinung, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Und sie haben recht! ... Wie sieht es in Hamburg aus? Bei uns zeigt sich die Spaltung beispielsweise am Jahresdurchschnittseinkommen in den verschiedenen Stadtteilen.«

Gerade in Hamburg gibt es Möglichkeiten und Ressourcen gegen die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen anzugehen. Aber das Wissen um die Probleme ist Voraussetzung für einen entsprechenden Willen. Die realexistierende Sozialdemokratie ist längst wieder bei der Politik der Ignoranz und Arroganz angekommen. Insofern werden die Hinweise der Sozialverbände wiederum ohne Resonanz bleiben. Der Hamburger SPD-Senat wird die Verdrängung weiterhin zum politischen Kurs erheben.
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1)  Der Gini-Koffzient der Haushaltseinkommen liegt mit 0,32 deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 0,29. Der Gini-Koeffizient ist ein Maß für Konzentration. Er beträgt null, wenn alles Personen über das gleiche Einkommen verfügen. Er beträgt eins, wenn eine Person alles Einkommen auf sich vereinigt und alle anderen Personen über kein Einkommen verfügen.
2)  Die sog. Armutsgefährdungsquote misst den Anteil der Menschen mit einem Einkommen von weniger als 60% des Durchschnittseinkommens.

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