6. März 2017 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Armut auf hohem Niveau

Nach dem neuen Armutsbericht der Wohlfahrtsverbände verharrt die Zahl der von Armut betroffenen BürgerInnen in Hamburg mit 15,7% weiter auf einem hohen Niveau – im Vorjahr lag die Quote bei 15,6%. Damit ist weiterhin fast jeder sechste Hamburger von Armut bedroht.

Im Klartext bedeutet dies: Die positive wirtschaftliche Entwicklung kommt bei vielen Menschen nicht an. Während das Armutsrisiko in Hamburg bei Familien mit drei und mehr Kindern deutlich gesunken ist, stieg es bei RentnerInnen auf einen neuen Höchststand – zum neunten Mal in Folge.

»Das Alter wird in Hamburg immer stärker zum Armutsrisiko«, sagt Joachim Speicher, Geschäftsführender Vorstand des Paritätischen Hamburg. Waren 2006 noch 5,9% der RentnerInnen von Armut bedroht, habe sich die Quote im Jahr 2015 auf 13,6% mehr als verdoppelt. Diese negative Entwicklung wird sich weiter fortsetzen, da in den nächsten Jahren zunehmend Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, hohen Teilzeitarbeitsquoten und niedrigen Löhnen das Rentenalter erreichen.

»Das Dramatische an Altersarmut ist, dass es für die Betroffenen kaum Hoffnung auf Besserung gibt. Während jüngere Menschen noch aus eigener Kraft Wege aus der Armut finden können, haben ältere Menschen mit dem Eintritt in den Ruhestand kaum Chancen, ihre finanzielle Situation zu verbessern«, so Speicher weiter.

Diese Entwicklungstendenz zeigt sich auch bei der Grundsicherung im Alter. Die Zahl und Quote der EmpfängerInnen dieser Mindestsicherungsleistung liegt mit 7,4% niedriger als die Armutsquote von 13,6%, weil viele SeniorInnen sie entweder aus Scham oder Unkenntnis nicht in Anspruch nehmen, oder aber die Schwellenwerte, unterhalb derer sie in Anspruch genommen werden kann, so niedrig angesetzt ist, dass sie den Betroffenen trotz Bedürftigkeit nicht gewährt wird. Gleichwohl ist Hamburg mit einer Quote von 7,4% der älteren BürgerInnen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, Hauptstadt der Altersarmut in Deutschland. Auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind dabei vor allem BürgerInnen ohne deutschen Pass.

Erfreulicherweise ist die Betroffenheit von Armut bei Familien mit mehr als zwei Kindern stark rückläufig. Waren 2013 noch über 40% dieser Familien von Armut bedroht, ist die Quote im Jahr 2015 auf 30% gesunken. »Die Einführung der beitragsfreien, 5-stündigen Kita-Betreuung scheint sich auf diese Familien besonders positiv auszuwirken. Trotz der erfreulichen Entwicklung zählen Familien mit mehr als zwei Kindern allerdings weiterhin zu den Hauptrisikogruppen«, so Joachim Speicher. Dazu gehören auch Erwerbslose (58%), Alleinerziehende (36,4%) und BürgerInnen mit Migrationshintergrund (30,3%).

Arme Eltern bedeuten zwangsläufig auch arme Kinder. In Hamburg sind rund 60.000 Kinder unter 18 Jahren (21%) von Armut bedroht. Armut bedeutet dabei mehr als fehlende finanzielle Mittel. Wer in Armut aufwächst, hat schlechtere Bildungschancen und somit auch weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Kinder müssen zudem auf vieles verzichten, was für andere Kinder selbstverständlich ist. Ein Besuch im Fußballstadion oder der Kino-Abend mit Freunden ist und bleibt für viele Kinder unmöglich.

Die Bundesregierung könnte durch Rentenreformen und Reformen auf dem Arbeitsmarkt Altersarmut reduzieren, so die Wohlfahrtsverbände. Aber auch der Hamburger Senat könnte seinen Teil dazu beitragen, dass die Armut in einer der reichsten Städte Europas – jeder achte Hamburger gilt als reich – nachhaltig sinkt, z.B. durch den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung für Langzeitarbeitslose, durch den Ausbau von bezahlbarem Wohnraum, durch konkrete Unterstützungsangebote für Alleinerziehende und Mehrkind-Familien und durch eine Stärkung der Quartiere, in denen besonders viele arme Menschen leben.

Das Bild über Armut in Hamburg wird erst vollständig, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass im letzten Jahrzehnt regelmäßig in den Medien eine Irritation über die Entwicklung aufblitzt. Änderungen in der Politik bleiben danach Fehlanzeige. Auch hier dominiert letztlich die Ausflucht: der paritätische Wohlfahrtsverband betreibe Panikmache .So lesen wir im »Abendblatt«: »Das leicht gestiegene Armutsrisiko ist Anlass zum Handeln, nicht zur Panikmache. Eine Debatte über Armutsbekämpfung ist notwendig.« Weder stimmt die Kritik der Panikmache, noch kann die Rede davon sein, dass es im politischen Betrieb eine ernsthafte Debatte über Gründe der Armutsentwicklung und mögliche Gegenstrategien gibt.

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