12. August 2014 Bernhard Sander: Entwicklungs»perspektiven« für NRW
Arbeitsplatzabbau verstärkt regionale Unterschiede
Nordrhein-Westfalen galt jahrzehntelang als das industrielle Herz Deutschlands. Der Kapitalismus der Zechenbarone, Stahlgiganten und Kanonenkönige wandelte sich unter großen Arbeitsplatzverlusten. Doch auch die Zeit der Automobil-, Maschinenbau- und Stromindustrie scheint zu Ende zu gehen.
Die große Abhängigkeit von Exporten in den europäischen Wirtschaftsraum hat in den letzten Jahren das Wachstum erheblich gedämpft, da dort ein Teufelskreis aus sinkenden Staatseinnahmen, steigender Verschuldung, rigiden Sparprogrammen, zurückgehender private und staatlicher Nachfrage, sinkender Gewinnaussichten herrscht. Produktivitätsfortschritte bei sinkenden Absatz- und Gewinnerwartungen lassen das Arbeitsplatzangebot in NRW schrumpfen.
Eine neue Untersuchung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts und der Unternehmensberatung PWC haben nun die Entwicklung für ganz Deutschland fortgeschrieben und für NRW dabei zum Teil sehr düstere Perspektiven entwickelt.
Für Gesamtdeutschland rechnet die Studie die Trends der letzten Jahre (2000-2011) für die kommende Zeit bis 2030 hoch. Im Basisszenario steigt die Produktivität demnach um 33,5%, die Bruttowertschöpfung um 26%. Wenn also die Produktivität um ein Drittel steigt, die Wertschöpfung hingegen nur um ein Viertel, ist absehbar, dass die Zahl der Arbeitsplätze sinkt, und zwar um 4 bis 4,5% bundesweit.
Bis zum Jahr 2030 wird in 80% der Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland die Beschäftigung sinken – mit entsprechenden Folgen für die kommunalen Finanzen. Bundesweit wird davon Ostdeutschland noch sehr viel härter betroffen sein. Für eine Unternehmensberatung scheinen hier goldene Zeiten auf, da es gilt, »die notwendige Konsolidierung intelligent zu managen« (Presseerklärung vom 20.7.2014).
Einige Zahlen für Nordrhein-Westfalen, wo der Trend sehr viel massiver ausfällt:
Lediglich Dortmund, Wesel, Unna, Rhein-Erft, Rhein-Sieg und Köln sollen positive Beschäftigungsbilanzen bis 2030 aufweisen. Es handelt sich also um einen allgemeinen Trend, der mit betrieblichen Abwehrkämpfen kaum aufgefangen werden kann, sondern ein landespolitisches Gegensteuern verlangt.
Die Studie gibt ein paar Hinweise, wo eine aktive Beschäftigungspolitik ansetzen könnte. Die Problemzone entwickelt sich im produzierenden Gewerbe. Hier rechnet die Studie mit einem Rückgang der Erwerbstätigkeit um 15%, also fast viermal so hoch wie in der Gesamtentwicklung, denn hier soll sich die Produktivität um 43% und die Wertschöpfung um nur 21% erhöhen.
Umgekehrt stellt die Studie die These auf: »Urbane Zentren mit attraktiven Bildungseinrichtungen und einer leistungsfähigen Infrastruktur werden profitieren.« Metropolenregionen mit einem vergleichsweise hohen Anteil an Dienstleistungssektoren sollen zu den Gewinnern gehören.
Die Kluft zwischen prosperierenden Regionen mit höheren Löhnen und Zuwanderung von besser qualifizierten Arbeitskräften und den anderen weniger dynamischen, strukturschwachen Bereichen wird zunehmen. Doch ist dies kein blinder Automatismus, sondern man könnte entgegenwirken. »Dazu werden geeignete Maßnahmen zur Steigerung der Standortattraktivität sowie zur Transformation der lokalen Wirtschaftsstruktur vor allem in den Regionen ergriffen, die … zu den Verlierern zählen.«
Aber vom Wirtschaftsminister des Landes, Garrelt Duin ist dazu kein Plan bekannt, da sich die Landesregierung der Haushaltskonsolidierung unterwirft. Zumindest eine Abwanderung von Arbeitskräften und Unternehmen aus den strukturschwachen Gebieten müsste gebremst oder verhindert werden, denn selbst bei einem erhofften Wirtschaftsaufschwung, den die Studie ebenfalls durchgerechnet hat, werden die Disproportionen und Abwanderungstendenzen nicht beseitigt.