6. Juli 2014 Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Arbeitsmarkt und Altersarmut in der Hansestadt: Scholz und Scheele ohne Rezept
Vordergründig ist auch in Hamburg das langjährige Problem der Arbeitslosigkeit beseitigt. Das Hamburger Abendblatt bringt die Stimmung in das Bild: der Arbeitsmarkt im Juni bewege sich » mit Trippelschritten in die richtige Richtung«. Gleichwohl ist die eine Tääuschung, wenn man sich die Fakten etwas genauer vornimmt. Richtig ist: Die Arbeitslosigkeit in Hamburg ist im Juni leicht zurückgegangen. In der Hansestadt waren 73.019 Arbeitslose gemeldet, das sind 919 oder 1,2% weniger als im Vormonat.
Richtig ist aber auch: Gegenüber dem Vorjahresmonat hat die Zahl der Menschen ohne Job um 3,5% (absolut: 2.500) zugenommen. Damit setzt sich die seit Monaten zu beobachtende Tendenz fort, dass Hamburg sich beim Arbeitsmarkt von der Entwicklung im Bundesdurchschnitt abkoppelt. Denn die Zahl der Arbeitssuchenden ist auf Bundesebene im Juni im Vorjahresvergleich um 1,1% gesunken. Dazu passt, dass die Zahl der gemeldeten Stellen in Hamburg im Vorjahresvergleich um 6,1% zurückgegangen ist, während sie im Bundesdurchschnitt um 5,8% gestiegen ist.
Besonders betroffen von der Zunahme der Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich waren Lohnabhängige, die 50 Jahre und älter sind (+5,0%), Langzeitarbeitslose (+7,1%) und MigrantInnen (+8,2%).
Ohne auch nur mit einem Wort auf diese problematische Entwicklung des Arbeitsmarktes in Hamburg einzugehen, verkündet der Chef der Hamburger Arbeitsagentur, Fock, ganz im Abendblatt-Stil, eine »positive Stimmung«. So habe sich die Arbeitslosigkeit von ihrem Höchststand in diesem Jahr im Februar Schritt um Schritt um 3.500 Arbeitslose verringert. Richtig ist daran nur der Hinweis auf die anhaltend positive Bilanz bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Hamburg. Denn hier lag Hamburg im April mit einem Plus im Vorjahresvergleich von 2,0% mit an der Spitze aller Bundesländer. Beim Blick in die Zukunft kommt allerdings auch Fock nicht um etwas mehr Nüchternheit herum: In den nächsten Monaten rechnet er mit steigenden Zahlen. Erst danach dürfte sich nach seiner Einschätzung die Lage »mittelfristig entspannen«.
Gleichwohl sieht Fock keinen Handlungsbedarf. Dabei weiß er als Chef der Arbeitsagentur doch genau, dass die Verharrungstendenzen auf dem Hamburger Arbeitsmarkt viel mit dem durch den von der früheren schwarz-gelbe Bundesregierung betriebene Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik zu tun haben, der in Hamburg besonders intensiv umgesetzt wurde. So ist die Zahl der TeilnehmerInnen an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im Juni 2014 gegenüber dem Vorjahr um 26% gesunken.
Darunter leider auch und vor allem Langzeitarbeitslose, denen Senator Scheele in grauer Vorzeit durch einen »sozialen Arbeitsmarkt« zu helfen versprochen hatte. Der, ließ Scheele nun kürzlich durch seinen Sprecher Marcel Schweitzer verkünden, existiere bereits. So seien für 2015 u.a. 3.631 Arbeitsgelegenheiten, etwas mehr als im laufenden Jahr, in Planung.
Nun war Scheele in der Vergangenheit immer ein vehementer Kritiker der Ein-Euro-Jobs. Noch im Frühjahr prangerte es sie als »sinnfreie Beschäftigung«, die abgeschafft gehöre. »Wenn Kanus von Jungerwachsenen zwar gebaut werden dürfen – die Kanus aber auf dem Wasser nicht fahren dürfen. Wenn Bilder auf Wände zwar gemalt, aber dann wieder überstrichen werden müssen. Wenn Altkleider zwar an Bedürftige abgegeben, nicht aber geändert werden dürfen, dann stehen wir vor einer Infantilisierung der Arbeitsmarktpolitik.«
Jetzt verkauft er die Ein-Euro-Jobs als »sozialen Arbeitsmarkt«. Und das Perfide: Neben den 2.320 klassischen Ein-Euro-Jobs soll es in 2015 auch noch 500 Null-Euro-Jobs geben. Die Null-Euro-Jobs sollen für »marktferne Langzeitleistungsbezieher« geschaffen werden und tragen den schönen Namen »Maßnahme Aktivcenter«. 500 Menschen, die schon lange Hartz IV beziehen, sollen damit über neun Monate »motiviert werden, sich beruflich zu integrieren«. Die Teilnahme wird in einer Eingliederungsvereinbarung festgehalten – auf Verstöße folgen Sanktionen. Bei den bisherigen Ein-Euro-Jobs, den »Arbeitsgelegenheiten« gibt es pro Stunde 1,70 Euro, ungefähr 200 Euro im Monat. Bei den neuen Maßnahmen gibt es nur Geld für tatsächlich anfallende Kosten wie Verpflegung, Kinderbetreuung oder Fahrten.
Um die gesetzlichen Vorschriften für Ein-Euro-Jobs, als das sind Mehraufwandsentschädigung, Arbeitsschutz und Berücksichtigung des Bundesurlaubsgesetzes, umgehen zu können, wird jetzt eine Bestimmung bemüht, die es erst seit einigen Jahren gibt und die erlaubt, dass auf alle obengenannten Merkmale verzichtet werden kann, »wenn eine Verwaltung es für nötig hält, um Erwerbslose in den Arbeitsmarkt einzugliedern«.
Statt aktiver, gestaltender Arbeitsmarktpolitik betreibt der Hamburger SPD-Senat die weitere Entrechtung langzeitarbeitsloser BürgerInnen.Die sozialdemokratische Politik hat in Sachen Arbeitslosigkeit einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Massive Kürzung der landesspezifischen Förderung; kein Engagement gegen Sanktionen und keinerlei Anstrengung zur Reform des Bürokratiemonsters Arbeitsverwaltung.
Anstieg der Altersarmut
Wie in der Arbeitsmarktpolitik zeichnet sich der Hamburger Senat und sein verantwortlicher Senator Scheele beim Umgang mit der wachsenden Altersarmut in der Stadt durch hartnäckige Ignoranz gegenüber den daraus resultierenden sozialen Notlagen aus. Als Hamburg im letzten Jahr die Auszeichnung als »Hauptstadt der Altersarmut« in Deutschland verliehen wurde, trat Scheele dem vehement entgegen, obwohl die Zahlen eindeutig waren und sind: In Hamburg waren 2012 6,2% der BürgerInnen, die älter als 65 Jahre sind, auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Das war der deutliche Spitzenplatz im Ranking der Bundesländer. Nimmt man noch die hinzu, die zwar keine Grundsicherung beziehen, mit ihrem Einkommen aber unterhalb der Armutsgrenze liegen, sind es sogar 11,7% (gemessen am Bundesmedian). Die nicht besonders schwer zu begründende Prognose: Vor dem Hintergrund prekärer Beschäftigung und deutlicher Absenkung des Rentenniveaus wird die Zahl der armen RuheständlerInnen in den nächsten Jahren kontinuierlich steigen.
Das Statistische Landesamt Nord hat die Zahlen für 2013 vorgestellt. Danach waren am Jahresende 2013 in Hamburg 22.310 Frauen und Männer im Alter von mehr als 64 Jahren Grundsicherungsleistungen zur Sicherstellung der laufenden Lebensführung im Alter erhalten, das sind fast sieben Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Damit hat sich der in den Vorjahren erkennbare Zuwachs fortgesetzt, so das Statistikamt Nord. Im mittelfristigen Vergleich zu 2008 ergibt sich sogar eine Steigerung um knapp 28%.
57% der Unterstützten waren Frauen, 7% lebten in Einrichtungen, 77% erhielten die Hilfe ergänzend zur Altersrente. 31% der HilfeempfängerInnen waren unmittelbar aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) in die Grundsicherung überführt worden, und 25%hatten zuvor Sozialhilfe in Form laufender Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten.
Angesichts der Dynamik im Zuwachs der Altersarmut in Hamburg wird das Bundesland wohl auch in 2013 wieder »Hauptstadt der Altersarmut« gewesen sein (genaue Zahlen für alle Bundesländer liegen noch nicht vor). Es wäre schon viel gewonnen, wenn der SPD-Senat diese Realität anerkennen und dann einige Schlussfolgerungen für eine altengerechte Politik ziehen würde. Darauf ist allerdings kaum zu hoffen – und steht die »Schuldenbremse« vor.
Seit einiger Zeit wird die Finanzierung der Grundsicherung im Alter stufenweise vom Bund getragen. Hamburgs Haushalt wird also spürbar entlastet. Es wäre auch abgesehen von einem politischen Engagement auf Bundesebene zur Zurückdrängung der Altersarmut möglich, länderspezifische Angebote zu entwickeln. Das drückende Problem: Hamburgs Sozialdemokratie verschließt die Augen vor aktuellen Problemlagen und verzichtet auf jedwede Gestaltung der Zukunft.