Der rechte Rand

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28. Oktober 2019 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Soziale Gerechtigkeit in Hamburg

Soziale Gerechtigkeit ist für die Hamburger LINKE das zentrale Thema für die Bürgerschaftswahl im Februar 2020. Dabei rüstet sich die Partei für einen »Oppositionswahlkampf«, wie es Fraktionschefin Cansu Özdemir auf dem Linken-Parteitag ausdrückte.

Sie sehe keine Chance auf eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen in Hamburg. Ihr Vorwurf: Rot-Grün sei nicht bereit, die Armut in der Stadt zu bekämpfen und in der Mieten- oder Klimapolitik etwas zu verändern. Zu verändern gibt es einiges.

HH: Jeder Fünfte in Armut

Die Einkommensungleichheit und damit die Kluft zwischen Arm und Reich ist in den letzten Jahren in der »Berliner Republik« deutlich gewachsen. Insbesondere sind die ärmsten Haushalte immer weiter abgehängt worden und haben real weniger Kaufkraft als noch 2005. Unter Bezug auf diese Befunde des neuen WSI-Verteilungsberichts[1] fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband die Bundesregierung auf, umgehend die Grundsicherungsleistungen anzuheben und darüber hinaus eine Kindergrundsicherung und die Grundrente einzuführen.

»Wer die schwarze Null zum Fetisch und zugleich Umverteilung zum Tabu erklärt, muss sich über dieses Ergebnis seiner Politik nicht wundern. Wenn die Armen in den letzten zehn Jahren immer ärmer geworden sind, ist das auch ein Zeichen sozialpolitischen Versagens und Unwillens«, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des PARITÄTISCHEN Gesamtverbands. Daran änderten auch das sogenannte Starke-Familien-Gesetz und andere Maßnahmen nichts, die der Verband als armutspolitisch halbherzig und inkonsequent kritisiert.

»Solange die Grundsicherungsleistungen nicht bedarfsgerecht angehoben und solange die Teilhabe armer Kinder nicht konsequent und umfassend sichergestellt werden, wird Armut nicht verhindert werden können«, so Schneider. Der PARITÄTISCHE fordert nach eigenen Berechnungen die Anhebung der Regelsätze in Hartz IV um mindestens 37% auf dann 582 Euro, die Einführung einer bedarfsgerechten, einkommensabhängigen Kindergrundsicherung für alle Kinder sowie eine Mindestrente, um auch Armut im Alter zu verhindern.

Auch Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD) in Hamburg, warnte die Politik davor, das Problem der Armut aus dem Fokus zu verlieren. In Zeiten von nahezu Vollbeschäftigung und prosperierender Wirtschaft gelten auch im reichen Hamburg immer mehr Haushalte als arm. »In der Hansestadt lebt heute jeder Fünfte in Armut oder ist akut armutsgefährdet. Armut hat sich schon lange verfestigt.« Dieses niederschmetternde Ergebnis »müsste eigentlich ein Weckruf an die Politik sein. Ich habe nicht den Eindruck, dass man dort das Problem ausreichend ernst nimmt, dabei zeigt die Studie, wie groß der Handlungsbedarf ist.«

Wicher fordert deshalb auch mit Blick auf die anstehenden Bürgerschaftswahlen eine gute Sozialpolitik für Hamburg. »Das Einkommen der Menschen muss erhöht werden, auch die Grundsicherung. Ein anderer Punkt ist die soziale Infrastruktur kostenfrei zu gestalten, also Nahverkehr und Kulturangebote. Hier geht es darum, dass die Menschen einen Anspruch darauf haben, in unserer Gesellschaft anständig leben zu können. Wer in Armut lebt, lebt nicht würdevoll.«

Niedriglöhne und Armut

Einer der wichtigsten Faktoren der zunehmenden sozialen Spaltung und der wachsenden Armut ist die Prekarisierung der Lohnarbeit. Sie zeigt sich u.a. darin, dass Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa hat. Lt. einer DIW-Studie sind inzwischen – unter Berücksichtigung der Teilzeit- und Nebenjobs – bundesweit mehr als neun Mio. Menschen davon betroffen. Der Bruttolohn von 10,80 Euro ist die nach internationalen Standards in Deutschland geltende Grenze für Niedriglohn.

»Besonders dramatisch ist, dass es inzwischen deutschlandweit mehr als 4 Millionen Menschen gibt, die in einem Vollzeitjob arbeiten, deren Lohn aber nicht ausreicht, um ein auskömmliches Leben zu führen«, so die Hamburger DGB-Vorsitzende Katja Karger. In Hamburg waren 2017 im Jahresdurchschnitt 90.734 Menschen in Vollzeit beschäftigt zu Stundenlöhnen von weniger als 10,80 Euro. Das waren 14% aller Vollzeitbeschäftigten. Besonders hoch ist der Anteil bei Arbeitnehmer*innen ohne Berufsabschluss (39%), mit Migrationshintergrund (38%) und bei Frauen (17%), wie die beigefügte Tabelle zeigt.

So viel Prozent der jeweiligen Vollzeitbeschäftigten in Freie und Hansestadt Hamburg erhalten nur Niedriglohn


Quelle: Statistik der BA, 2019

Niedriglöhne verstärken soziale Ängste und Unsicherheiten. Sie erschweren die wichtige Vorsorge für das Rentenalter. Zentrale Punkte sind deshalb, den gesetzlichen Mindestlohn perspektivisch auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben und die Tarifbindung zu stärken. Schließlich liegt das Einkommen mit Tarifvertrag bei einer Vollzeitstelle im Schnitt rund 500-800 Euro pro Monat höher. Nur noch 45% der Beschäftigten bekommen laut Statistikamt Nord in Hamburg eine mit den Gewerkschaften ausgehandelte tarifliche Entlohnung. Eine wichtige Maßnahme auf Landesebene könnte sein, Tariftreueregelungen verbindlich in öffentliche Ausschreibungen aufzunehmen.

Karger: »Millionen Euro fließen im Auftrag der Stadt jährlich in öffentliche Dienstleistungen, Produkte oder Baumaßnahmen. Hier auf Tariftreue zu achten, ist ein wichtiges Instrument gegen Niedriglöhne und wirkt außerdem dem Kaufkraftverlust entgegen.« Ein wesentlicher Effekt dieser Zunahme aller Formen von atypischer Beschäftigung und Niedriglöhnen ist, dass auch in Hamburg immer mehr Menschen auf soziale Mindestsicherungsleistungen angewiesen sind.

Das System der Grundsicherung

In der »Berliner Republik« sind viele Bürger*innen auf Transferleistungen der sozialen Mindestsicherungssysteme angewiesen, um ihren grundlegenden Lebensunterhalt bestreiten zu können. Zum Jahresende 2018 erhielten in Deutschland 7,2 Mio. Menschen und damit 8,7% der Bevölkerung soziale Mindestsicherungsleistungen. Im Jahr 2017 hatten 7,6 Mio. Menschen bzw. 9,2% der Bevölkerung Leistungen der sozialen Mindestsicherung erhalten.

Diese existenzsichernden finanziellen Hilfen des Staates gehören in Deutschland zu den grundlegenden Charakteristika eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Allerdings ist die Ausgestaltung oder die laufende Anpassung dieser Unterstützungsleistungen eben auch Bestandteil der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

Die Transferleistungen der sozialen Mindestsicherungssysteme sind finanzielle Hilfen des Staates, die zur Sicherung des grundlegenden Lebensunterhalts an leistungsberechtigte Bürger*innen ausgezahlt werden. Folgende Leistungen werden zu den Mindestsicherungsleistungen gezählt:

  • Arbeitslosengeld II/Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) »Grundsicherung für Arbeitsuchende«;
  • Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen im Rahmen der »Sozialhilfe« nach dem SGB XII;
  • Laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Rahmen der »Sozialhilfe« nach dem SGB XII;
  • Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG);
  • Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Hinzu genommen werden muss in diesem Zusammenhang noch das Wohngeld, das Menschen mit niedrigen Einkommen ohne Grundsicherungsleistungen beziehen. Es wird einkommensschwächeren Haushalten gewährt, damit diese die Wohnkosten für angemessenen und familiengerechten Wohnraum tragen können. Ende 2017 bezogen rund 12.300 Haushalte in Hamburg Wohngeld. Das waren 11% weniger mehr als Ende 2016. Ende 2017 betrug der durchschnittliche monatliche Wohngeldanspruch von reinen Wohngeldhaushalten 153 Euro, von wohngeldrechtlichen Teilhaushalten 150 Euro.

2018 wurden für die Grundsicherungsleistungen in Deutschland 73,4 Mrd. Euro ausgegeben. Der größte Brocken entfiel dabei mit 46,9 Mrd. Euro auf die Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II.



Das Niveau dieser Transferleistungen ist umstritten, weil die Leistungen eben nicht für die sozialkulturelle Existenzsicherung ausreichend sind. Ein weiteres Problem ist die beständig größer werdende Zahl der Menschen, die auf diese Existenzsicherung angewiesen sind.
Der Rückgang Empfänger*innen von Mindestsicherungsleistungen in Hamburg in 2018 gegenüber 2017 (um etwa 5.000) rührt ganz überwiegend daher, dass die Zahl der Bezieher*innen von ALG II und Sozialgeld, aber auch die der Zufluchtsuchenden zurückgegangen ist.

  • Knapp 180.000 Menschen erhielten Ende 2018 Gesamtregelleistungen (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II »Grundsicherung für Arbeitsuchende«; sogenanntes Hartz IV).
  • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII »Sozialhilfe« erhielten gut 44.600 Menschen. Das waren 1.600 mehr als 2017.
  • Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bekamen rund 11.200 Menschen. Der Rückgang um etwa 500 beruht insbesondere auf der Zahl abgeschlossener bzw. entschiedener Asylverfahren. Die betroffenen Personen erfüllen nicht mehr die Leistungsvoraussetzungen des AsylbLG.

Einen längerfristigen Aufwärtstrend gibt es bei der Zahl der auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit angewiesenen Bürger*innen. Ende Dezember 2018 waren das 44.605, das sind 30.600 Menschen mehr als noch 2003. Davon bezogen davon 26.473 Personen Grundsicherung im Alter (2003: 9.613). Gleichzeitig schwankt seit einigen Jahren die Zahl der Langzeitarbeitslosen im Hartz-IV-System zwischen 180.000 und 190.000. Die Zahl der Kinder, die von Sozialgeld leben, ist aber seit 2010 gestiegen. 2018 waren 51.500 Kinder in Hamburg darauf angewiesen. Kinder- und Altersarmut sind auch in Hamburg ein immer drängenderes soziales Problem.



2018 hat Hamburg 1,1 Mrd. Euro für die Sozialhilfe ausgegeben. Hinzu kommen 231 Mio. Euro für Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz und für das Wohngeld in Höhe von 26,4 Mio. Euro (2017). Die größten Brocken entfielen dabei mit 465,5 Mio. Euro auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 317,9 Mio. Euro.

Besonders hoch ist der Anteil der Menschen, die auf soziale Mindestsicherungsleistungen angewiesen sind in den Stadtstaaten und Bremen (17,4%) und Berlin (16,8%), gefolgt von Hamburg. Aber auch in vielen Flächenländern hat sich ihr Anteil in den letzten Jahren deutlich erhöht. So ist die Quote in Nordrhein-Westfalen von 10,2% in 2010 auf nun 11,3% in 2017 gestiegen. Absolut waren das gut 2,0 Mio. Menschen, die in NRW auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen waren. Dies entspricht mehr als 27% aller auf Mindestsicherung angewiesener Menschen in Deutschland.



Die Zahl und Quote der Mindestsicherungsempfänger markieren keineswegs das ganze Ausmaß an Armut in der Berliner Republik und in Hamburg. Denn tatsächlich beantragen Millionen Bürger*innen keine Hartz IV- oder Grundsicherungsleistungen, obwohl sie mit ihrem Netto-Einkommen einschließlich Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag über weniger als das Existenzminimum verfügen, und damit Anspruch auf soziale Unterstützung haben. Das heißt, dass sie das soziale Basisnetz nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie wegen geringen Einkommens oder Vermögens Anspruch darauf hätten. Keine Frage: Die gesellschaftliche Diskriminierung von Armut und der bürokratische Umgang bewirken, dass viele Benachteiligte auf soziale Rechte verzichten. Zweitens können viele von Armut Betroffene das soziale Netz nicht in Anspruch nehmen, weil sie trotz Bedarf die Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllen.

So liegt denn auch die Armutsgefährdungsquote in Deutschland , die den Anteil der Bevölkerung misst, der weniger als 60% des Durchschnitteinkommens zur Verfügung hat, 2018 mit 15,8% deutlich über der Quote der Empfänger*innen von Mindestsicherungsleistungen von 8,7%. Das bedeutet, dass tatsächlich etwa 12 Mio. Bürger*innen in Deutschland arm sind.

Und die Armutsgefährdungsquote hat seit 2006 trotz guter ökonomischer Rahmenbedingungen von 13,9% auf 15,5% in 2018 deutlich zugenommen. Sie lag im 2018 in allen westdeutschen Bundesländern (außer Hamburg, aber auch hier mit zuletzt wieder deutlich steigender Tendenz) über dem Niveau des Jahres 2005. Der Anstieg des Armutsrisikos war in den letzten 10 Jahren in Nordrhein-Westfalen am stärksten. Dort erhöhte sich das Armutsrisiko im Vergleich zum Jahr 2005 um 4,3 Prozentpunkte auf 18,7% im Jahr 2017.

Das bundesweit höchste Armutsrisiko wies im Jahr 2018 Bremen mit 22,7% auf, gefolgt von, Mecklenburg-Vorpommern mit 20,9%, Sachsen-Anhalt mit 19,5%und Berlin mit 18,2%. Die niedrigsten Armutsgefährdungsquoten 2018 hatten – gemessen am Bundesmedian[2] – Bayern (11,7%), Baden-Württemberg (11,9%), und Brandenburg (15,2%).



In Hamburg waren in 2018 15,3% (gemessen am Bundesmedian) der Bürger*innen von Armut bedroht. Damit ist die Armutsquote – entgegen dem Bundestrend (leichter Rückgang auf 15,5%) – in 2018 gestiegen. 2017 lag die Armutsquote in Hamburg noch bei 14,7%. Bei der am Landesmedian gemessenen Armutsquote, die die regionalen Lebensbedingungen (Lebenshaltungskosten, Wohnen) besser berücksichtigt, liegt Hamburg mit 18,4% mit Abstand im Länderranking an der Spitze.



Es kann also mit Blick auf die soziale Spaltung in Hamburg keineswegs von einer Trendwende gesprochen werden. Dies zeigt sich auch und gerade bei der Einkommensreichtumsquote, die den Anteil derer misst, die über mehr als 200% des Medianeinkommens verfügen. Hier liegt Hamburg mit einem Anteil von 12,3% (Bundesdurchschnitt: 8,1%) einsam an der Spitze. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander.



Arm sein bedeutet in Hamburg im Jahr 2018 für einen Ein-Personenhaushalt mit weniger als 1.108 Euro auskommen zu müssen. Bi einem Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern liegt die Armutsschwelle bei 2.328 Euro.



Mit Blick auf die von Armut besonders betroffenen Gruppen zeigt sich, dass Alleinerziehende und Kinder und Jugendliche vom leichten Anstieg der Armutsquote in Hamburg besonders betroffen sind. Bei den Alleinerziehenden wurde 2018 mit 39,1% erneut ein sehr hoher Spitzenwert gemessen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren betrug der Anteil der Armen 21,7%. Und bei den Migrant*innen mit und ohne deutschen Pass lag die Betroffenheit von Armut mit etwa 34,7% bzw. 29,3% auf einem hohen Niveau.



Altersarmut

Im Ende des Jahres 2018 haben in Hamburg gut 26.500 Frauen und Männer Grundsicherungsleistungen im Alter zur Sicherstellung der laufenden Lebensführung erhalten. Das sind knapp 4% mehr als ein Jahr zuvor.

55% der Hilfeempfangenden waren Frauen, 6% aller Unterstützten lebten in Einrichtungen und 73% erhielten die Hilfe ergänzend zur Altersrente. 44% der unterstützten Personen waren aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) in die Grundsicherung übergeleitet worden und 14% hatten zuvor Sozialhilfe in Form laufen¬der Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten.



Bezieht man die Grundsicherungsempfänger*innen auf die jeweilige Gesamtbevölkerung zeigt sich, dass die Grundsicherungsquote Ende 2018 auch in Hamburg mit 8,1% (Regelaltersgrenze und älter) zwar noch recht niedrig ist, allerdings kontinuierlich steigt. Und Hamburg liegt beim Anteil der Grundsicherungsempfänger*innen in Deutschland an der Spitze.

Besonders hoch ist der Anteil der Grundsicherungsbezieher*innen bei den Bürger*innen ohne deutschen Pass. Hier lag die Grundsicherungsquote Ende 2018 bei 29,4%. Aber auch bei den deutschen Senior*innen ist die Quote kontinuierlich auf 6,3% Ende 2018 gestiegen.
Die Quote der Grundsicherungsempfänger*innen im Alter zeigt aber, wie wir gesehen haben, noch nicht das ganze Ausmaß an Altersarmut in der Stadt. So waren in 2018 (gemessen am Bundesmedian) 13,4% der Senior*innen in Hamburg von Altersarmut betroffen. 2005 lag die Quote noch bei 7,6%.

Einkommensarmut aber geht mit einer geringeren Teilhabe am privaten und öffentlichen Leben einher und ist mit weniger nach außen gerichteten sozialen Kontakten und weniger informellen Hilfen durch Dritte verbunden. Zusammenhänge zwischen (Alters-) Einkommensarmut und schlechterer Gesundheit, einer insgesamt geringeren wie auch einer kürzeren gesunden Lebenserwartung, schlechteren Wohnverhältnissen oder einem geringeren Versorgungsgrad mit einem Zugang zu hochwertigen gesundheitlichen und anderen sozialen Diensten sind empirisch belegt.

Schlussfolgerung

Der Hamburger rot-grüne Senat reagiert auf das Thema Altersarmut wie auf die soziale Spaltung in der Stadt mit Ignoranz und Ausflüchten. Trotz guter ökonomischer Rahmenbedingungen und hoher Beschäftigung gibt es auch in Hamburg reichlich Armut, die im Alltag unübersehbar ist. Zwar werden Problemfelder angegangen, aber die verfestigte soziale Spaltung wird von der rot-grünen Landesregierung hartnäckig ignoriert.

Dabei gibt es von Gewerkschaften und Sozialverbänden viele Vorschläge, wie auf Bundes-und Landesebene etwas gegen soziale Spaltung getan werden könnte. So fordert etwa der SOVD vom Bund konzertierte Maßnahmen, unter anderem eine Anhebung des Mindestlohns auf wenigstens 12,50 Euro, die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarkts, deutlich verstärkte Anstrengungen beim sozialen Wohnungsbau und vor allem eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Arme Menschen in Hamburg bräuchten zusätzlich unter anderem einen Zuschuss von mindestens 20 Euro im Monat, um das hiesige Preisniveau zu kompensieren, freie Fahrt mit dem HVV und auch hier deutlich mehr neue, bezahlbare Wohnungen.

Statt sich eine Reserve von vier Mrd. Euro für »schlechte Zeiten« auf die Seite zu legen und eine weitere Mrd. Euro zur Schuldentilgung zu nutzen, hätte der rot-grüne Senat besser daran getan, die Mittel nutzen, um die Infrastruktur nachhaltig zu verbessern, eine zukunftsorientierte Strukturpolitik anzustoßen und die brennendsten sozialen Probleme der Stadt anzugehen. Dazu gehört auch und vor allem die Ausweitung der Förderung des Baus von preiswerten Wohnungen. Das wäre auch ein wirkungsvoller Beitrag, um die Probleme, die bei einem Konjunktureinbruch auf die Stadt zukommen, schon im Vorfeld zu dämpfen. Der finanziellen Spielraum für solche Maßnahmen könnten zudem noch vergrößert mit einer deutlichen Verbesserung des Steuervollzugs und Initiativen etwa für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer auf Bundesebene. Insgesamt geht es um

  • Maßnahmen zur Eindämmung der sozialen Spaltung (deutlich verbilligte HVV-Abos und günstige Kulturangebote für Sozialleistungsbezieher, kostenloses Mittagessen in Kitas etc.)
  • ein großzügig angelegtes Programm für den Bau preiswerter Wohnungen;
  • Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, die den Vermögensverschleiß beenden;
  • die endgültige Beendigung des Personalabbaus im öffentlichen Dienst auch in den »nichtpriorisierten Bereichen« wie etwa in den Bezirksämtern. Vor allem die Bezirke brauchen mehr Personal um ihre gewachsenen Verpflichtungen bewältigen zu können. Die unsinnige Beschränkung des jährlichen Wachstums der Personalkosten muss beendet werden, und auch für die Sozialunternehmen sollte diese »Kostenbremse« endlich aufgegeben werden.
  • und, nicht zuletzt, ein Strukturprogramm für die Hamburger Wirtschaft etwa durch Stärkung bestimmter Cluster (Life Science etc.), die der Krise der Hafenwirtschaft entgegenwirkt.


[1] Dorothee Spannagel, Katharina Molitor, Einkommen immer ungleicher verteilt, WSI-Verteilungsbericht 2019, WSI-Report Nr. 53, Oktober 2019. Siehe dazu Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Eigentum und Arbeitsleistung, in: Sozialismus Heft 11/2019.
[2] Nimmt man den Landesmedian, der die regionalen Einkommens- und Ausgabenstrukturen besser einfängt, dann ergibt sich ein etwas anderes Bild. Dann weist z.B. Hamburg mit 18,4% die höchste Armutsquote aus.

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