11. Mai 2020 Björn Radke
Schleswig-Holstein in der Corona-Krise: »Es geht um Schadensbegrenzung und Vermeidung einer Post‐Corona‐Krise«
Die Jamaica-Koalition aus CDU, Grünen und FDP sieht sich im Krisenmanagement der Corona-Pandemie auf dem richtigen Weg. In seiner Regierungserklärung nach der Videokonferenz der Länderchefs mit der Bundeskanzlerin erklärte Ministerpräsiden Daniel Günther, die Verbreitungszahlen ließen Raum zur Zuversicht. »Wir haben das Infektionsgeschehen im Griff.«
Man habe sich verständigt, die neuen Regelungen der jeweiligen regionalen Lage anzupassen. Als Indikator zur Verbreitung sei ein Schwellenwert von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von einer Woche beschlossen worden. Schleswig-Holstein liege derzeit mit rund 100 Neuinfektionen im ganzen Land deutlich darunter. Ziel sei es, zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen, dass die Krankenhaus-Kapazitäten ausreichten und die Situation unter Kontrolle sei. »Unsere Gesundheitsbehörden sind extrem gut aufgestellt«, betonte Günther. »Wir sind gut vorbereitet auf diese Zeit.«
Schlüsselelement seien aber weiterhin die Kontaktbeschränkungen. Diese würden noch mindestens bis zum 5. Juni aufrechterhalten. Am 18. Mai werde die Notbetreuung in den Kitas noch einmal erweitert und schließe dann auch Kinder mit besonderem Förderbedarf ein. Ab dem 1. Juni sollen die Kitas dann in den eingeschränkten Regelbetrieb übergehen. Auch die Schulen sollen schrittweise wieder zur Normalität zurückkehren, sagte Günther. Klar sei aber auch, dass es bis zu den Sommerferien keinen Regelbetrieb geben werde. Die Landesregierung wolle es aber allen Schüler*innen ermöglichen, bis dahin eingeschränkten Präsenzunterricht zu erhalten. Dabei liege der Fokus insbesondere auf den Schüler*innen mit Förderbedarf.
Ab dem 18. Mai sollen alle Einrichtungen wieder öffnen dürfen. Die Betreiber müssen allerdings ein Hygienekonzept erarbeiten, um sicherzustellen, dass Kund*innen oder Besucher*innen jederzeit den Mindestabstand von 1,5 Meter einhalten können. Dies gelte unter anderem für Indoor-Sportangebote wie Fitnessstudios, insbesondere aber auch für Restaurants, Hotels und Ferienwohnungen. Darüber hinaus werde das Land das Betretungsverbot für die Inseln und Halligen aufheben. »Das bedeutet: Touristischer Verkehr wird ab dem 18. Mai wieder möglich«, sagte Günther. Er verstehe den Wunsch vieler, die Betriebe möglichst schnell wieder hochzufahren. »Doch soweit ist es momentan noch nicht. Wir dürfen es nicht riskieren, noch einmal zurückzumüssen, zu einem Lockdown.«
Tatsächlich ist Schleswig-Holstein mit seiner Wirtschaftsstruktur vor allem in den Bereichen Tourismus, Hotels, Gastronomie und Gaststätten besonders stark betroffen. Anders als in anderen Bundesländern ist die Wirtschaftsstruktur Schleswig-Holsteins sehr kleinteilig. Rund 88% aller 123.000 Unternehmen im Land haben weniger als zehn Beschäftigte. Deshalb hatte die Landesregierung der Jamaica-Koalition schon Ende März beschlossen, den Förderrahmen zu erweitern. Bei dem Zuschuss-Programm handelt es sich um einmalige Leistungen von bis zu 15.000 Euro für Betriebe mit maximal zehn Vollzeitbeschäftigten. Finanziert wird dieser Zuschuss aus einem Topf des Bundes mit 50 Mrd. Euro. Das Geld wird bei der Investitionsbank beantragt und von dort auch direkt ausgezahlt.
Zusätzlich setzt Schleswig-Holstein 100 Mio. Euro Landesgeld ein, um »Unwuchten« in diesem Programm zu glätten und Härtefälle abzufedern. Ende März hat die Landesregierung beschlossen, Kleinstunternehmern und Solo-Selbstständigen, die wegen der Coronakrise in Not geraten, zwischen 2.500 und 10.000 Euro Zuschuss zu gewähren. Das Geld muss nicht zurückgezahlt werden. Das Geld kommt aus dem 500-Mio.-Euro-Hilfspaket, das der Kieler Landtag auf den Weg gebracht hat. Es soll den Unternehmern und ihren Firmen das finanzielle Überleben in der Coronakrise sichern. 100 Mio. Euro der Summe stehen für die Kleinst-Betriebe zur Verfügung.
Solo-Gewerbetreibende und Solo-Selbstständige in Not bekommen 2.500 Euro. 5.000 Euro bekommen Gewerbetreibende und Selbstständige mit bis zu fünf sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitskräften. Wer bis zu zehn Vollzeitarbeitskräften beschäftigt, bekommt 10.000 Euro.
Das Geld wird gewährt, wenn es keinen Anspruch auf Bundes-Zuschüsse zur Bewältigung der Corona-Krise gibt. 300 Mio. Euro fließen zudem in einen Mittelstands-Sicherungsfonds. Daraus können rückzahlbare Zuschüsse von bis zu 750.000 Euro gewährt werden. Sie sollen Liquiditätsengpässe überbrücken. Zielgruppe dafür sind Gewerbetreibende und Selbstständige, die unmittelbar durch staatliche Verordnungen im Zuge der Coronakrise in eine existenzbedrohliche Wirtschaftslage bzw. in einen Liquiditätsengpass geraten sind. Es sind für die Unternehmen Einzelkredite über 15.000 bis 50.000 Euro über bis zu zwölf Jahre Laufzeit möglich. Sie sind 24 Monate lang tilgungsfrei und in den ersten fünf Jahren zinsfrei. Außerdem gibt es Kredite zwischen 50.000 und 750.000 Euro über zwölf Jahre Laufzeit, die fünf Jahre lang tilgungsfrei sind. Ausgezahlt wird das Geld über die Investitionsbank des Landes.
Weitere 50 Mio. Euro sollen nach dem Beschluss der Landesregierung für Kultur, Bildung und Sport bereitstehen. »Ziel ist es, möglichst vielen unbürokratisch zu helfen, die durch die Krise in existenzieller Not geraten sind«, sagt CDU-Ministerpräsident Daniel Günther. Das gelte für Freiberufler, Selbstständige, Kulturschaffende und Unternehmen. Dazu wolle das Land auch weiterhin mit Steuerstundungen und einem vorläufigen Stopp von Vorauszahlungen an die Finanzämter beitragen.
Das »Institut für Weltwirtschaft« (ifw) in Kiel veröffentlichte nun einen »Policy brief«. »Das im Mai beginnende Sommerhalbjahr ist entscheidend für das wirtschaftliche Fortbestehen vieler Tourismusbetriebe, die Unternehmen benötigen dringend wieder nennenswerte Umsätze, um die Corona-Krise überleben zu können«, sagt IfW-Ökonom Klaus Schrader. Gemeinsam mit Jürgen Stehn und Claus-Friedrich Laaser plädiert er in dem Policy Brief (https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-policy-briefs/2020/urlaub-in-coron...) dafür, Tourismusbetrieben, die durch die Anpassung betrieblicher Abläufe bestimmte Abstands‐ und Hygieneregeln erfüllen können, jetzt eine Öffnung zu erlauben. Zu große Menschenansammlungen im öffentlichen Raum sollten Kreise und Kommunen durch entsprechende Zugangsbeschränkungen verhindern, etwa zu touristischen Zentren oder durch die Teilsperrung von Parkplätzen.
»Die einzelnen Bundesländer sind wirtschaftlich höchst unterschiedlich von den Schließungen im Tourismus betroffen und weisen stark differierende Infektionszahlen auf, was wiederum höchst unterschiedliche Risiken im Falle einer Öffnung bedeutet. Daher sollte es den einzelnen Bundesländern möglich sein, hinsichtlich Umfang, Ausgestaltung und Geschwindigkeit eigene Öffnungsstrategien für den Tourismus zu entwickeln. Aus ökonomischer Sicht gibt es keine hinreichende Begründung für eine bundeseinheitliche Exit-Strategie, im Gegenteil«, so Schrader.
Bezogen auf die Größe des Bundeslandes ist die Bedeutung des Tourismus für die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in Deutschland am höchsten. Je 1.000 Einwohner*innen verzeichnete MV im letzten Jahr 21.000 Übernachtungen, Schleswig-Holstein 12.400. Der bundesweite Durchschnitt lag bei 6.000 Übernachtungen. Gleichzeitig weisen beide Länder nur äußerst geringe Fallzahlen von mit Covid-19-Infizierten auf und liegen hier weit unter dem Bundesdurchschnitt. »Wären die Infektionsraten in den Reisegebieten vergleichsweise hoch, wären Lockerungen illusorisch. So aber spricht hier wenig gegen einen Neustart des Tourismus. Die beiden Länder sind dafür prädestiniert, bei den Lockerungen voranzuschreiten.«
In Schleswig-Holstein etwa sind infolge des »Lockdowns« während der Osterferien bis zu 8% der jährlichen Übernachtungen verloren gegangen. Bei einer Fortsetzung dieser Beschränkungen bis zum Ende des Sommerhalbjahrs im Oktober würde sich dieser Verlust auf etwa 80% erhöhen. Besonders betroffen wären die Reisegebiete Nordsee und Ostsee, deren Saisongeschäft noch größer als im Landesdurchschnitt ist.
In Schleswig-Holstein fallen zwei Drittel aller Übernachtungen auf den Zeitraum Mai bis Oktober, alleine ein Drittel fällt in die Ferienmonate Juli und August. Nachholeffekte sind daher nicht zu erwarten, so die Autoren, ein Umsatzverlust im Sommerhalbjahr kann nicht in touristischen Randzeiten im Herbst oder Frühling kompensiert werden. Aufgrund des geringen Anteils ausländischer Gäste dürften die geschlossenen Außengrenzen Schleswig-Holstein und die meisten anderen Bundesländer nur wenig treffen. Allerdings würden durch das Fortbleiben ausländischer Gäste vielerorts auch kaum Übernachtungskapazitäten in der Hauptsaison frei, so dass die Länder nicht von einem Nachfrageboom nach Urlaub im eigenen Land profitieren können.
»Eine Rückkehr zur Normalität ist für diesen Sommer auszuschließen, Umsatzeinbußen werden wohl unvermeidlich sein. Zeitnahe Informationen von der Politik über die Urlaubsbedingungen würden den Entscheidungsprozess auch bei den Urlaubern erleichtern und damit auch der Branche mehr Planungssicherheit geben. In dieser Situation müssen alle Beteiligten bei ihren Entscheidungen Restrisiken unterschiedlichster Art akzeptieren. Der Sommer 2020 wird von Ungewissheiten geprägt sein. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung und um die Vermeidung einer Post‐Corona‐Krise«, so Schrader.
Es deutet sich an, dass die bisher von der Landesregierung beschlossenen Finanzmittel zur Unterstützung der Betriebe und der Beschäftigten nicht ausreichen werden. Die sich dynamisierende Rezession kann sich auch über das Jahr hinaus auf das Urlaubsverhalten und damit auf den Tourismus negativ auswirken.