27. Januar 2022
Manfred Goll (1940-2022)
Wir trauern um unseren langjährigen Freund, Weggefährten und Mitstreiter Manfred Goll. Er bleibt uns in Erinnerung als engagierter Interessenvertreter der Lohnabhängigen. Jahrelang lag ihm als Verlagskaufmann in einem Medienkonzern die Regelung von Arbeitsbedingungen und angemessenen Einkommen der abhängig Beschäftigten am Herzen.
Für ihn war es selbstverständlich sich über die Mitgliedschaft in der IG Druck und Papier hinaus für alle Belange der Lohnarbeiter*innen einzusetzen. Er war daher jahrelang im Vertrauenskörper, dessen Leitung, sowie als Betriebsrat und als Ortsvorsitzender der Gewerkschaft aktiv. Zu seinem Gewerkschaftsverständnis gehörte es auch, sich politisch in der Gesellschaft für alle Aspekte einer demokratischen Beteiligung in kapitalistischen Unternehmen einzusetzen. Durch dieses konsequente, leidenschaftliche Engagement hat sich Manfred Respekt und Anerkennung erworben.
Manfred Goll verstand sich als demokratischer Sozialist. Das hieß für ihn: unter den gegebenen politisch-gesellschaftlichen Umständen des 20.Jahrhunderts aktive Arbeit in der Gewerkschaft und in der Sozialdemokratie, obwohl diese Partei keineswegs mehrheitlich für einen demokratischen Sozialismus kämpfte. Er gehörte zu den oppositionellen Parteimitgliedern, die die Wende der SPD zum Godesberger Programm 1959 kritisch beurteilten.
Nach langer Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei wuchs bei Manfred die Unzufriedenheit und Entfremdung über deren Programmatik und politische Alltagspraxis. Kritisch begleitete er seit den 1970er Jahren die Transformation der SPD zu einer Volkspartei, in der das Ziel einer Demokratisierung der Wirtschaft immer stärker an den Rand gedrängt wurde. Die Annäherung an den Neoliberalismus light in der Folge des Blair-Schröder-Papiers und die Agenda 2010 führten letztlich zum Bruch mit dieser Partei.
Manfred waren, als demokratischer Sozialist, alle Versionen eines dogmatischen Marxismus ebenso ein Graus wie Politiker*innen, die ihre Überzeugungen so schnell wechselten wie das Hemd. 2005 schloss sich Manfred Goll der WASG an, die später mit der PDS in die Partei DIE LINKE umgewandelt wurde.
Seine Mitgliedschaft in der WASG erfolgte im Bewusstsein, dass diese linke Alternative mit vielen Makeln behaftet war. Er blieb in kritischer Distanz zur PDS, die sich mehrheitlich in der bloßen Verwaltung des Kapitalismus erschöpfte, und die als Partei weitaus geringere Möglichkeiten für Parteigänger eines kritischen Sozialismus bot.
Das langjährige Leiden an der realexistierenden Sozialdemokratie und die Aufgabenstellung einer linken, sozialistischen Partei hat er in ein leidenschaftliches Engagement für eine lernende Parteiorganisation umgesetzt, von der sich die Linkspartei in den letzten Jahren mehr und mehr entfernte.
Der »Eilbeker-Kreis«, dem Manfred sich von Beginn an zuordnete, partizipierte von seinen gründlichen Analysen, oft waren sie die Grundlage unserer Diskussionen. Wir haben von ihm gelernt. Die Aufgabe, eine zukunftsfähige linke Partei der politischen und sozialen Emanzipation zu schaffen, blieb für ihn wichtig.
Die Entwicklung der Linkspartei in Hamburg war kein Zuckerschlecken. In Absetzung zu den sektiererischen Strömungen setzte er sich für die Herausbildung einer reformsozialistischen Mehrheit ein.
In der letzten Zeit wurde für ihn der politische Niedergang der Partei DIE LINKE immer deutlicher. Er mahnte noch im Sommer 2021: »Eine Chance hat DIE LINKE noch, wenn sie denn im Bundestag bleibt. Auch die GRÜNEN können sich nicht auf ihrem Green New Deal ausruhen. Wenn die naive Begeisterung für Friday for Future erst einmal verflogen ist und, angesichts der dicken Bretter, die gebohrt werden müssen, und die unvermeidliche Auseinandersetzung um die richtige Umsetzung der notwendigen Maßnahmen beginnt und ihren Frust verbreitet, werden auch die GRÜNEN wieder auf dem Boden der Realität ankommen. Das wäre dann auch auf absehbare Zeit die letzte Chance der LINKEN, hier mit realistischen Konzepten aufzuwarten, diese im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern und wieder Fuß zu fassen. Das dazu notwendige intelligente Bevölkerungspotential hatte sie schon auf ihrer Seite, sie hätte es nur erkennen und erschließen müssen.
Noch hat sie die Chance es wiederzugewinnen. Dazu muss nicht erst der Kapitalismus besiegt werden. Realistische zielführende Wege im Kapitalismus reichen dafür völlig aus, zudem da absehbar ist, dass der Kapitalismus auch noch das 21. Jahrhundert bestimmen wird. Aber in der Erarbeitung und Durchsetzung realistischer Konzepte war DIE LINKE noch nie gut und so bleibt es wahrscheinlich dabei, dass die anderen die Konzepte erarbeiten und DIE LINKE brav hinterher dackelt, und allenfalls besserwisserisch die Schwachpunkte der Konzepte aufzeigt, oder, was besonders auf lokaler Ebene beliebt ist, sich an den Aktionen der anderen beteiligt. So gewinnt man kein Profil und keine Wähler*innen. Das sind die ›Strategien‹ der Verlierer. Um im 21. Jahrhundert als linke Partei zu überleben, muss man mehr bieten als pseudosozialistische Phrasen.«
Jetzt werden wir die Auseinandersetzung um eine reformorientierte linkssozialistische Partei ohne sein beflügelndes Engagement, seine Hartnäckigkeit und seine erfrischende Polemik fortführen.
Wir werden ihn sehr vermissen.
Für den Eilbeker Kreis
Regine Brüggemann