Der rechte Rand

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13. November 2018 Björn Radke

Jamaika in Schleswig-Holstein: Geräuschlos wg. »Schönwetter«

In Berlin fanden Union, FDP und Grüne nach den Bundestagwahlen im September 2017 nicht zusammen. Dagegen regiert seit Mai 2017 in Schleswig-Holstein ein Jamaika-Bündnis mit Daniel Günther (CDU) als Ministerpräsident, dem ein »geräuschloses« Agieren zugeschrieben wird.

In nur eineinhalb Jahren stieg er zum laut Infratest Dimap aktuell beliebtesten Länderregierungschef auf. In der aktuellsten Umfrage vom April äußerten sich gut zwei Drittel der Befragten (68%) sehr zufrieden bzw. zufrieden mit der Arbeit des Regierungsbündnisses von CDU, Grünen und FDP. Aus Sicht der Befragten machen die Grünen ihre Regierungsarbeit am besten. 59% sind sehr zufrieden oder zufrieden damit. Als beliebtesten Politiker ermittelte die Umfrage Umweltminister Robert Habeck (Grüne), gefolgt von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). 70% nannten Günther einen guten Ministerpräsidenten. Auch 60% der SPD-Anhänger*innen waren dieser Meinung. Die Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres zeigten schon den später nachfolgenden bundesweiten Trend: CDU (- 3,8%) und SPD (- 6,5%) verloren, während die Grünen 2,8% zulegten.

In einzelnen Themenfeldern schneidet die Regierung schlechter ab. Mit ihren Anstrengungen, die Infrastruktur zu erneuern, ist nur ein Viertel der Befragten zufrieden. Bei der Kinderbetreuung, der Schul- und Bildungspolitik und der Windkraft schneidet Jamaika schwächer ab als die Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und SSW. Sehr gute Werte erhält die jetzige Koalition in der Wirtschaftspolitik und bei der inneren Sicherheit. Als größte Probleme werden von den befragten Wahlberechtigten der Zustand in der Infrastruktur (45%) sowie die Verbesserung der Situation im Bildungsbereich (29%) genannt. Jede*r dritte Schleswig-Holsteiner*in traut am ehesten der CDU zu, die wichtigsten kommunalen Probleme zu lösen (32%). Im Vergleich zur Kommunalwahl 2013 ist das Vertrauen in die Christdemokraten damit um drei Prozentpunkte gewachsen. Jeder Fünfte vertraut auf die SPD (20%), das ist ein deutlicher Rückgang von acht Prozentpunkten im Vergleich zur Kommunalwahl 2013. Bei der Frage nach den wichtigsten Problemen des Landes rangierten Wohnungen, Mieten, Umwelt, Wirtschaft und Arbeitslosigkeit unter 3%. Soziale Gerechtigkeit und öffentliche Finanzen blieben in der Prioritätenliste noch unter diesen Werten.

Keine Fortschritte in der Strukturpolitik

Die Grünen besetzen mit dem Finanzministerium und dem Umweltministerium, dem auch Landwirtschaft und Energie zugeordnet sind, die im strukturschwachen Flächenland zwischen den Meeren zentralen Ministerien. Dabei kann Monika Heinold beinahe unbeirrt den finanzpolitischen Kurs der Vorgängerregierung fortsetzen. Für sie »hat der Abbau des Sanierungsstaus im Land Priorität«. Die Koalition nutze die gute Haushaltssituation, um Schulen, Krankenhäusern und Straßen zu sanieren. »Das Land muss noch moderner und digitaler werden. Dafür investieren wir nachhaltig und tilgen gleichzeitig schon jetzt Schulden, obwohl dies erst für 2020 vorgesehen war.« Aber in Sachen Modernisierung der Wirtschaft fällt der Jamaika-Koalition nichts ein. Die Regierung erarbeite ein Konzept, wie der Schuldenabbau dauerhaft fortgesetzt werden kann. »Bis Anfang 2019 werden wir dem Landtag einen entsprechenden Altschuldentilgungsplan vorlegen.« Fakt ist: Erstmals seit vier Jahren plant die Landesregierung 2019 mehr auszugeben als sie einnimmt – und macht damit wieder Schulden. Das sieht der Haushaltsentwurf der Jamaika-Koalition für das kommende Jahr vor. Demnach will die Landesregierung 13 Mrd. Euro ausgeben. Allerdings nimmt sie 300 Millionen weniger ein. Die Differenz soll) durch neue Kredite ausgeglichen werden.

Jahrzehntelang wies die Kasse des Landes Schleswig-Holstein rote Zahlen aus. Die Folge: Der Schuldenberg wuchs und wuchs und die Spielräume, um Dinge im Land zu gestalten, wurden kleiner. Im vorläufigen Haushaltsabschluss für das Jahr 2017 wurde erstmals ein Überschuss in Höhe von 646 Mio. Euro festgestellt. Erreicht worden sei dies »durch hohe Steuereinnahmen, durch sparsames Wirtschaften, durch gute Planung und solide Haushaltspolitik«, sagte Heinold. Das sei der beste Haushaltsabschluss, den Schleswig-Holstein je hatte. 128 Mio. Euro will Heinold zur Schuldentilgung verwenden. Denn das Land sitzt noch auf einem Schuldenberg von 26,4 Mrd. Euro.

Auch der Haushaltsentwurf für das laufenden Jahr 2018 sieht eine Schuldentilgung im Umfang von 185 Mio. Euro vor. Gleichzeitig soll das gesamte Investitionsvolumen eine Mrd. Euro erreichen. In das Sonderprogramm »Impuls« zum Abbau des Sanierungsstaus in der Infrastruktur werden 211 Mio. Euro eingestellt – u.a. für Landesstraßen, Hochschulen, Krankenhäuser, IT und Gefängnisse. Das Budget für Digitales steigt auf 170 Mio. Euro.

Für die geplanten Investitionen in die Infrastruktur des Landes erhielt die Koalition ein Lob von der Landesrechnungshofpräsidentin Schäfer. Sie kritisierte aber die Höhe der neun Sondervermögen, in denen Ende 2017 insgesamt 874,9 Mio. Euro lagen. Sie regte an, die Höhe der Sondervermögen auf 450 oder 500 Mio. Euro zu begrenzen. Eine Zukunftskonzeption ist bei diesen Infrastrukturinvestitionen allerdings nicht zu erkennen. Es geht im Grund mehr um Beseitigung des Sanierungsstaus in der öffentlichen Infrastruktur.

Rückenwind erhält Finanzministerin Monika Heinold von den Zahlen der November-Steuerschätzung für Schleswig-Holstein. Demnach wird das Land 2018 ca. 90 Mio. Euro mehr einnehmen als bisher geplant. Für die folgenden Jahren zeigen sich dann schon die Bremsspuren beim Wirtschaftswachstum. So wird für 2019 im Vergleich zur Steuerschätzung aus dem Mai ein Minus von 78 Mio. Euro erwartet. Auch für die darauf folgenden Jahre wurde die Einnahmeerwartung leicht gesenkt.

»Die Steuerschätzung bestätigt unseren Kurs, nur das auf den Weg zu bringen, was auch dauerhaft finanzierbar ist. Jede Hochkonjunktur geht einmal zu Ende«, sagte Heinold. Sie kündigte an, mit den erwarteten Mehreinnahmen für 2018 noch stärker Altschulden zu tilgen. Dafür werde man sowohl strukturelle Überschüsse als auch konjunkturelle Mehreinnahmen einsetzen. »In den vergangenen drei Jahren haben wir strukturelle Haushaltsüberschüsse noch genutzt, um Sondervermögen aufzubauen und unsere Infrastruktur zu sanieren. Das wird 2018 anders sein. Da in diesem Jahr allein bis zu 3 Mrd. Euro aus HSH-Altverpflichtungen auf das Land zukommen, werden wir jeden Euro nutzen, um diese gigantische Summe zu reduzieren.«

Auf Grundlage der Steuerschätzung könnten demnach rund 90 Mio. Euro mehr für HSH-Altverpflichtungen eingesetzt werden: »Das hilft uns, die Zinsausgaben in späteren Jahren zu reduzieren. Und es ist verantwortbar, da wir aus den Haushaltsüberschüssen 2017 rund 500 Millionen Euro in unsere Sondervermögen für Infrastruktur gepackt haben.«
Heinold verwies darauf, dass das Land auch weiterhin strukturell ausgeglichene Haushalte vorlegt: »Wir wirtschaften solide, investieren in Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung und tragen Schulden ab. So sorgen wir dafür, dass unser Land handlungsfähig bleibt und die Zukunft gestalten kann.«

»Haushalt ist und bleibt ausgeglichen«

Trotz der möglichen Tendenzwende von einem langen Aufschwung in  schwierigeres konjunkturelles Fahrwasser lehnt Heinold eine Korrektur des Haushaltsentwurfs für 2019 ab. »Der Haushaltsentwurf ist und bleibt ausgeglichen, auch wenn die Einnahmen nicht ganz so stark steigen wie bisher erwartet«, sagte sie. »Bei der anstehenden Nachschiebeliste zum Haushalt 2019 werde ich deshalb nicht stur auf die Sparbremse treten.« Aber: »Es ist aber sicherlich nicht die Zeit, um neue teure Projekte zu starten.« Am Jahresende 2019 dürfte Schleswig-Holstein gleichwohl tiefrote Zahlen schreiben. Grund sind die Altlasten der HSH Nordbank, die im Verkaufsfall mit rund 3,0 Mrd. Euro zu Buche schlagen.

In der Tat: Die neuen Schulden sind vor allem Folge des HSH-Nordbank-Desasters. Im Haushalt 2019 sind 450 Mio. Euro für die Abwicklung fauler Schiffskredite enthalten. Die Kredite waren von der HSH Finanzfonds – einer Anstalt öffentlichen Rechts – übernommen worden, um die HSH Nordbank für den Verkauf attraktiver zu machen. »Wir werden Jahr für Jahr mit Neuverschuldung in dieser Legislatur rechnen müssen«, sagte die Grünen-Politikerin. Bis 2025/26 werde Schleswig-Holstein eher Haushalte mit als ohne Schulden haben. Jährlich sei mit Belastungen für den Landesetat von 300 bis 400 Mio. Euro durch die frühere Landesbank zu rechnen. Nach derzeitigem Stand belastet die HSH Nordbank das Land mit insgesamt 5,0-5,5 Mrd. Euro. Ende 2017 hatte Schleswig-Holstein laut Heinold knapp 26 Mrd. Euro Schulden.

Der vorliegende Haushaltsentwurf für 2019 sieht bereinigte Einnahmen in Höhe von 12.740 Mio. Euro vor. Gegenüber dem Soll 2018 (inkl. Nachträge) bedeutet dies einen Einnahmeanstieg von 598 Mio. Euro bzw. 4,9%. Die bereinigten Ausgaben betragen rund 13.038 Mio. Euro. Sie unterschreiten das Soll 2018 (inkl. Nachträge) um 1.895 Mio. Euro oder 12,7%. Ohne die Inanspruchnahme aus der Rückgarantie durch die HSH Finanzfonds AöR in den Jahren 2018 und 2019 steigen die bereinigten Ausgaben um 605 Mio. Euro in 2019. Das entspricht einem Anstieg um 5%.

Schleswig-Holstein unterschreitet damit die Vorgabe aus dem Ausführungsgesetz für das Jahr 2019 um rund 144 Mio. Euro. Die Defizitabbauvorgabe wird eingehalten. Gegenüber dem Soll 2018 (inkl. Nachträgen) steigt der strukturelle Finanzierungssaldo um rund 11 Mio. Euro. Die Auszahlung der Konsolidierungshilfen in Höhe von 80 Mio. Euro ist gesichert.

Kleine Schritte in der Agrar- und Umweltpolitik

Rudolf Habeck, der nun in die Führung der Bundesgrünen gewechselt ist, hat als Umweltminister weniger große Umwälzungen erreicht, sich aber auf die ständige und zähe Suche nach tragfähigen Kompromissen eingelassen. Er hat Landwirten und anderen Naturnutzern viele Kompromisse für ein umweltfreundlicheres Schleswig-Holstein abgerungen. »Gute Sachen«, sagt Bauernverbands-Präsident Schwarz. Habeck selbst verweist auf zählbare Errungenschaften nach seiner sechsjährigen Regierungstätigkeit: mehr Ökolandbau, mehr Dauergrünland, mehr Gewässerrandstreifen, mehr Wildnis, Umverteilung des europäischen Fördergeldes für mehr tierwohlgerechte Ställe und nachhaltigen Ackerbau. »Wir haben im Land versucht zu verändern, was wir verändern können«, sagt Habeck. »Wir arbeiten mit kleinen Rädern gegen das große Rad der agrarökonomischen Ausrichtung an.« Die Leitlinien der Agrar- und Umweltpolitik werden in der EU und im Bund entschieden. »Häufig genug hat man sich die Zähne daran ausgebissen, dass in Berlin so eine Verhaltensstarre ist«, sagt Habeck. »Wir haben es nicht geschafft, die Prinzipien der Landwirtschaft zu ändern. Das muss man einräumen.« Die Bürger*innen scheinen das ähnlich zu sehen und lasten die eher mageren Ergebnisse nicht den Grünen an, sondern der GroKo in Berlin.

Habecks Nachfolger, Jan Philipp Albrecht, ist ein ausgemachter Pro-Europäer und saß neun Jahre im Europa-Parlament. Eingebettet im Umweltministerium ist das Digitalministerium, in dem zugleich auch andere Zukunftsthemen wie die Agrarwende, der Klimaschutz und die Energiewende verhandelt werden sollen. »Da wird uns die Digitalisierung dabei helfen, Düngemittel sehr viel gezielter einzusetzen, was wiederum der Umwelt erheblich nutzen wird. Auch die Energiewende kann mithilfe intelligenter digitaler Technik vorangebracht werden.« Er sieht mit der Digitalisierung Möglichkeiten, »um traditionelle Konflikte zum Beispiel zwischen Landwirtschaft und Klimaschutz aufzulösen«. Tradition und Moderne zusammenzubringen, das kommt derzeit in der Bevölkerung gut an.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hält die von ihm geführte Jamaika-Koalition nicht für ein Schönwetter-Bündnis. Die recht ordentliche Finanzlage »hilft uns natürlich, Projekte umzusetzen, die uns wichtig sind«, so Günther. »Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel: Bei 29 Milliarden Euro Schulden können wir nicht über unsere Verhältnisse leben«, und stellt sich damit voll hinter die Vorgaben der grünen Finanzministerin. Jamaika könne aus seiner Sicht auf eine ordentliche Leistung blicken, sagte Günther zum ersten Jahr Jamaika im Norden. »Es ist uns gelungen, mehr Dynamik ins Land zu bringen. Wir führen G9 ein, schaffen mehr Lehrerstellen, Grundschullehrer werden mehr Geld bekommen, wir haben eine komplett neue Kita-Finanzierung auf den Weg gebracht, die Elternbeiträge für die Kitas steigen nicht und wir beschleunigen die Sanierung der Infrastruktur«, listete Günther auf. »Und wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass es uns gelingt, für die HSH Nordbank einen Käufer zu finden, der auch einen vernünftigen Preis zahlen will?«

Bleibende Baustellen

Ohne alles schlecht reden zu wollen, bleibt aber festzuhalten, dass die Jamaika-Koalition zentrale Baustellen im Land ignoriert:

•    Schulden und Personalabbau: Der Landesrechnungshof kritisiert, das Land gebe weiterhin zu viel Geld aus. »Die Ausgaben sind nach wie vor zu hoch«, sagte die Vorsitzende Gaby Schäfer. Der vor Jahren beschlossene Abbau von 5.000 Stellen habe zwar auf dem Papier stattgefunden, an anderer Stelle seien aber im ähnlichen Umfang neue Stellen geschaffen worden. Tatsächlich ist die Zahl der Landesbeschäftigten von 48.775 im Jahr 2010 auf aktuell 49.720 gestiegen.
Heinold verteidigte die Abkehr vom früheren Stellenabbaupfad, der sukzessive den Abbau von mehr als 5.000 Stellen im öffentlichen Dienst vorsah. Die Regierung nehme den tatsächlichen Bedarf als Maßstab. Im Bildungsbereich halte die Landesregierung am Ziel einer hundertprozentigen Unterrichtsversorgung fest. Deshalb würden entgegen der bisherigen Planung 439 Stellen nicht abgebaut, sondern 234 neue Stellen geschaffen. Hinzu kommen 90 neue Referendarplätze und 70 neue Stellen für unterschiedliche pädagogische Fachrichtungen. »Wir schaffen deutlich mehr Stellen für Lehrkräfte, damit unsere Kinder gut unterrichtet werden.« Bildung sei die wirksamste Investition in unsere Zukunft, sagte Heinold.

Die Chefin des Landesrechnungshof  bleibt dagegen bei der früheren These, nur durch drastischen Personalabbau könne das Land von seinem hohen Schuldenberg herunterkommen. Sie kritisierte, dass die Landesregierung trotz hoher Steuereinnahmen im vergangenen Jahr weniger als 0,5% der Altschulden in Höhe von rund 26 Mrd. Euro abgebaut hat. Andere Länder hätten die guten Zeiten genutzt und 2017 durchschnittlich rund zwei Prozent ihrer Schulden getilgt.

Die Pro-Kopf-Verschuldung beträgt im Norden mehr als 10.000 Euro. »Wir tilgen pro Kopf aber nur 47 Euro«, sagte Schäfer. Notwendig sei ein verbindlicher Tilgungsplan nicht nur für den Kernhaushalt, sondern auch für die Extrahaushalte. Sie verwies auf zusätzliche Lasten in Höhe von drei Milliarden Euro durch den geplanten Verkauf der HSH Nordbank in diesem Jahr. Der Regierung aus CDU, Grünen und FDP kommt das weiterhin niedrige Zinsniveau zu Gute. Im Vergleich zum Jahr 2010 spart das Land pro Jahr rund eine halbe Milliarde Euro an Zinsen ein. Dennoch zahlte Schleswig-Holstein seit 1970 nach Angaben des Rechnungshofs bereits 28,9 Mrd. Euro an Zinsen.

•    Überschuldung und drohende Armut: 2017 mussten in Schleswig-Holstein 28.303 Frauen und Männer die Hilfe von Schuldnerberatungsstellen in Anspruch nehmen, weil sie ihre Kredite, Miete oder Heizrechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Ihre Schulden übertrafen das Einkommen im Durchschnitt um das 27-fache, so das Statistikamt Nord. 2016 waren 25.140 ratsuchende Menschen gezählt worden. Berater gehen davon aus, dass nur 10-15%  aller Betroffenen eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen. Zurecht mahnt der Vorsitzende des DGB Nord, Uwe Polkaehn: »Die Landesregierung unterschätzt massiv die Probleme, die vor Ort aus der sozialen Spaltung entstehen. Schleswig-Holstein ist der Lohnkeller des Westens – niedrige Einkommen treiben immer mehr Menschen in die Verschuldung und in die Verzweiflung. Nötig ist eine Offensive aller Verantwortlichen zum Schutz vor Armut, dazu gehört vor allem eine Ächtung von Niedriglöhnen und die Förderung von mehr Tarifverträgen.«

Hauptauslöser für die Überschuldung in Schleswig-Holstein war laut Statistikamt die Arbeitslosigkeit (21% der beratenen Personen). 43% der beratenen Personen waren arbeitslos, 36% abhängig erwerbstätig und weitere 21% anderweitig nicht erwerbstätig (wie z. B. Rentner*innen, Studierende). Knapp die Hälfte aller Beratenen (44%) verfügte nur über ein monatliches Nettoeinkommen von unter 900 Euro – ihre durchschnittlichen Verbindlichkeiten betrugen 22. 427 Euro.

•    Fehlender bezahlbarer Wohnraum: Schleswig-Holsteins Bauminister Hans-Joachim Grote (CDU) hat angekündigt, er wolle bessere Rahmenbedingungen für den sozialen Wohnungsbau schaffen. Förderung von bezahlbaren Wohnraum: In der Metropolregion und den größeren Städten gibt es einen riesigen Nachholbedarf. Allein in Kiel fehlen rund 24.000 günstige Wohnungen und in Lübeck 17.000. Auch in den Dörfern Schleswig-Holsteins müssen endlich bezahlbare Mietwohnungen entstehen – teure Eigenheime gibt es bereits genug. 1.700 neue Wohnungen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. In den nächsten Jahren wird der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum weiter steigen, wenn in Schleswig-Holstein über 20.000 Sozialwohnungen aus der Mietbindung fallen. Das wird den Druck erhöhen, gerade auf Haushalte mit kleinem Einkommen.

Der DGB-Nord fordert eine dauerhafte Mietpreisbindung und eine wirksame Mietpreisbremse, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern und bezahlbare Mieten durch entsprechende Kriterien bei der Grundstücksvergabe zu erreichen. »Dabei sollten genossenschaftliche Modelle und andere gemeinwohlorientierte Lösungen bevorzugt unterstützt werden. Wenn bald die Hälfte des Monatseinkommens für Miete draufgeht, wächst der Zorn unter denjenigen, die im Lohnkeller nie und nimmer die Chance haben werden, Wohneigentum zu erwerben«, mahnt der DGB-Nord.

•    Niedriglohnland: Der Tourismus im Norden boomt. Das Gastgewerbe macht gute Geschäfte, aber auf dem Rücken der Beschäftigten. »Als Niedriglohnbranche hat der Tourismus im Norden keine Zukunft«, so Herbert Grimberg, Vorsitzender des Landesbezirkes Nord der Gewerkschaft NGG, zur Entwicklung der Tourismuszahlen im Norden. »Das Gastgewerbe ist die Billiglohnbranche Nummer 1, sie braucht eine Qualitätsoffensive und keine Jubelchöre von Verbandsvertretern und Ministern. Für bessere Entlohnung, Arbeitszeiten, Arbeitsschutz und Ausbildungsbedingungen müssen auch die Wirtschaftsminister der Länder bei ihrer Aufsicht und in ihrer Wirtschaftsförderung mehr tun.« Zwei von drei Arbeitnehmer*innen in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen arbeiten mehr als 45 Stunden in der Woche; vielfach werden Überstunden nicht entlohnt oder ausgeglichen. Schleswig-Holstein bleibt beim Lohn das Kellerkind unter den alten Bundesländern und Hamburg ist der Spitzenreiter unter den Bundesländern bei den Verdiensten in Deutschland. Ende vergangenen Jahres hatte ein Vollzeitbeschäftigter im Norden einen mittleren Verdienst von 2.958 Euro brutto im Monat. Das waren rund 250 Euro unter dem Bundeswert und etwa 380 weniger als im westdeutschen Mittel.

Die günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen lassen das Regieren im Jamaika-Bündnis ohne große Konflikte erscheinen. Die sich abzeichnende Abschwächung der Konjunktur wird aber die Verteilungsfrage wieder in den Focus rücken. Dann werden die bisher verdeckt liegenden Konfliktlinien deutlich hervortreten.

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