Der rechte Rand

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20. August 2018 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Hamburg: Rot-grüne Kehrtwende in der Haushaltspolitik

Nach jahrelanger Rotstiftpolitik überrascht der rot-grüne Senat die Hamburger Öffentlichkeit mit einer politischen Wende: Noch im laufenden Jahr soll eine Milliarde Euro mehr ausgeben werden, als bislang im Haushaltsplan für 2018 vorgesehen.

Ende vergangenen Jahres hatte die Bürgerschaft beschlossen, dass der Senat seine Ausgabenpolitik  nicht mehr nur am langjährigen Mittel der Einnahmen orientieren soll, sondern bei der Haushaltspolitik eine eine Wachstumskomponente unterlegt. »Mit der Fortschreibung des Haushaltsplanes 2018 setzen wir den Auftrag der Bürgerschaft um, den Wachstumsfaktor schon im laufenden Plan zur Geltung zu bringen«.

Wachstumskomponente ist das Zauberwort: Die bisherige kleinkrämerische Kürzungspolitik wird über Bord geworfen. Die hohen Steuereinnahmen und die geringen Zinssätze auf die aufgehäuften Schulden erlauben einen Bruch mit der bisherigen Politik. Zwar sind Bevölkerung und Steuereinnahmen schon seit 2011 gewachsen, aber erst jetzt hat die Koalition begriffen, dass mit Sparpolitik die gesellschaftlichen Defizite immer größer werden. Daher die neuen Töne: »Das Wachstum unserer Stadt wartet nicht, wir müssen es aktiv gestalten und dafür auch die notwendigen finanzpolitischen Rahmenbedingungen schaffen.« In der Tat: Allein der Bevölkerungszuwachs hat anfangen vom Wohnen, über die Bildung bis hinzu Gesundheit und Alter die bisherige Rotstiftpolitik immer absurder erscheinen lassen. Die »neue Sicht« prägt auch den Entwurf eines Doppelhaushaltes für die Jahre 2019/20.

Der Taschenspieler Trick:  Die ab 2019 greifende Schuldenbremse werde sicher eingehalten. der Kurs einer stetigen Haushaltskonsolidierung fortgesetzt ohne die Handlungsfähigkeit und positive Entwicklung der Stadt zu gefährden oder ihre unverzichtbaren Leistungen für Bürgerinnen und Bürger zu beeinträchtigen. Mit Blick auf das Wachstum der Stadt will der Senat die Ausgaben nicht nur 2018 sondern auch in den Folgejahren kräftig steigern. Schwerpunkte sind die Bereiche Kita, Schule, Wissenschaft, Wohnungsbau, Verkehr, Infrastruktur, Sanierung und Lebensqualität.

 

Im kommenden Doppelhaushalt soll es eine deutliche Steigerung der Ausgaben geben, vor allem um in die Infrastruktur zu investieren, mehr Personal in Teilbereichen einzustellen und das Dienstleistungsangebot zu verbessern. So soll es 2019 Mehrausgaben von 9,2% gegenüber 2018 geben, weitere knapp 3% im Folgejahr. In Zahlen ausgedrückt: Von 14,2 Mrd. Euro (2018) steigen die Ausgaben auf 15,5 Mrd. Euro im Jahr 2019 und auf fast 16 Mrd. Euro im Jahr 2020 – vorausgesetzt, die Bürgerschaft stimmt dem Etat zu, was gegen Ende des Jahres der Fall sein soll.

Es bleibt allerdings auch beim Doppelhaushalt 2019/20 bei der bisherigen Linie der Haushaltspolitik: Von den veranschlagten Steuererträgen werden »Vorsichtsabschläge« gemacht, die das Ausgabenvolumen begrenzen – auch wenn die Abschläge geringer ausfallen als in der bisherigen Planung. Trotz beträchtlicher Haushaltsüberschüsse und neuer Rahmenbedingungen für die Finanzplanung sollen Personal- und Investitionsausgaben hinter dem Wachstum der Steuereinnahmen zurückbleiben. Das heißt im Klartext: Die bisherige Mängelverwaltung wird trotz wachsender Bevölkerungszahlen und zunehmender Problemfelder fortgeführt. Der Haushalt sei weiterhin »vorsichtig und konservativ« veranschlagt, so Finanzsenator Dressel bei der Präsentation des Haushaltsplan im Juni. Die Tilgung von Schulden sei auch vorgesehen – vor allem nach 2018, »wenn die Belastungen aus dem HSH-Nordbank-Desaster verarbeitet sein werden«.

Wegen des Bevölkerungswachstums wurde der städtische Anzug zu klein.

Mit dem kräftigen Wachstum der Ausgaben soll, so die Botschaft des Finanzberichts, dem Bevölkerungswachstum Rechnung getragen werden. »Seit 2011 sind die Einwohnerzahl Hamburgs und die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse jeweils um gut 100.000 Personen gewachsen. Die Bevölkerungszahl Hamburgs ist auf über 1,8 Millionen gestiegen, die Prognosen zeigen weitere Wachstumsperspektiven auf.«

Dieses Wachstum an Einwohnern, Unternehmen und Arbeitsplätzen habe Hamburgs Wirtschafts- und Finanzkraft deutlich verbessert. 100.000 neue Einwohner*innen seit 2011 brächten halt auch mehr Steuern und mehr Aufgaben mit sich. »Wir nutzen die zusätzlichen Einnahmen, um mit dem Wachstum der Stadt auch ihre Attraktivität zu erhöhen und die Lebensqualität für alle Hamburgerinnen und Hamburger zu verbessern«, so Bürgermeister Tschentscher bei der Präsentation des Haushalts im Juni. Die neue rot-grüne Blackbox heißt: stadtverträgliches Wachstum. 100.000 mehr Zuwander*innen in acht Jahren – diese Logik wird fortgeschrieben bis weit über die zwei Millionengrenze hinaus.

Man (d.h. Rot-Grün) wolle sich in den nächsten Jahren darum kümmern, so Finanzsenator Dressel, »das Wachstum Hamburgs stadtverträglich zu gestalten und dieses finanzpolitisch zu unterlegen. Wir investieren gezielt in die öffentliche Infrastruktur der Stadt, zum Beispiel in gute Bildung von der Kita über die Schule bis zu den Hochschulen, in einen guten Nahverkehr, in gute Infrastruktur und damit auch in die Lebensqualität. Dazu tragen auch unsere Sanierungsanstrengungen in allen Behörden bei. Für das Erhaltungsmanagement in zentralen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur schaffen wir neu eine zentrale Position, die auf 110 Mio. Euro in 2020 aufwächst. Das Investitionsniveau in diesen und anderen Bereichen kann sich sehen lassen.

Das Wachstum unserer Stadt erfordert zudem eine gezielte Verstärkung in unverzichtbaren Bereichen der Stadt – z.B. bei der inneren Sicherheit, bei Polizei, Feuerwehr und Justiz. Auch die soziale Infrastruktur in den Bezirken nehmen wir in den Blick, verstärken den Quartiersfonds, die Mittel für die Jugendarbeit und die Seniorentreffs.« Also endlich begriffen, dass die politische Generallinie seit langem falsch und realitätsuntüchtig war? Nein. Rot-grün will deutlich mehr ausgeben, schlägt aber keine Konzeption vor, wie mit den Defiziten und aufgelaufenen gesellschaftlichen Bedarfen umgangen werden soll.

 

In der Tat: Allein der Bevölkerungszuwachs hat anfangen vom Wohnen, über die Bildung bis hin zu Gesundheit und Alter die bisherige Konzeption der Politik der Haushaltskonsolidierung durchlöchert und deren negativen Folgen für die Entwicklung der Stadt noch deutlicher zutage treten lassen: Verfall der öffentlichen Infrastruktur, dramatischer Mangel an preiswertem Wohnraum, Verfestigung der sozialen Spaltung und wachsender Schuldenberg.

Die kritische Gegenthese: Die über den Wachstumsfaktor mobilisierten Finanzmittel reichen nicht aus, um auch nur die Folgen des Bevölkerungszuwachses aufzufangen. Die städtischen Defizite werden vielmehr trotz Mehrausgaben größer. Beispiel Wohnungspolitik: Wenn im Doppelhaushalt 2019/2020 an der Linie festgehalten wird, 3.000 preiswerte Wohnungen im Jahr zu bauen, reicht das nicht einmal die Neuankömmlinge unterzubringen, geschweige das Problem der strukturell fehlenden 80.000 preiswerten Wohnungen in der Stadt (und jährlich kommen die aus der Sozialbindung fallenden Wohnungen hinzu) anzugehen. Das Gleiche ließe sich für die Bereiche Schulen, Kindergärten oder öffentlicher Nahverkehr sagen. Die hierfür trotz deutlicher Ausgabensteigerung vorgesehenen Mittel sind alles andere als »auskömmlich«.

Dass der rot-grüne Senat den absurden Plan, auf längere Sicht die Beschäftigung im öffentlichen Sektor zu reduzieren, jetzt auch offiziell beerdigt hat, kann nur begrüßt werden: »Wir sind von dem Schema weg, minus 250 Stellen erreichen zu müssen«, verkündet der Chef der Senatskanzlei und des Personalamtes, Christoph Krupp. Dieses Abbauziel gelte nicht mehr. Stattdessen verwende man jetzt das Schema, in den Bereichen zu handeln, in denen es Bedarf gibt. Faktisch hat die expandierende Stadt den rot-grünen Senat gezwungen, endlich von den Vorstellungen abzurücken, die am grünen Tisch ersonnen wurden.

Ohne dass es offen ausgesprochen wird, enthält der Doppelhaushalt 2019/2020 auch das Eingeständnis des kompletten Scheiterns der bisherigen finanzpolitischen Linie von Rot-Grün. Dafür werden viele, bisher wie eine Mantra vor sich her getragene »Grundsätze« preisgegeben: die in den im Zusammenhang mit der Schuldenbremse fixierte Obergrenze für die Ausgaben wird deutlich nach oben korrigiert, die zwanghafte Logik der Verschlankung des Staates etwa beim Personal wird für obsolet erklärt und auch in Sachen öffentliche Investitionen verabschiedet man sich von der bisherigen »Schmalkost«. Eisern wird aber nach wie vor an der Schuldenbremse festgehalten.

Allerdings ist hinter der neuen »Großzügigkeit«, die sicher auch die Bürgerschaftswahlen Anfang 2020 im Blick hat, keinerlei Plan für die Zukunft der Stadt zu erkennen. Man reagiert auf Missstände in der Stadt, flickt sozusagen die Risse und Löcher in den Straßen, ohne eine Idee für einen Umbau und eine Gesamtsanierung  zu haben.

Hintergrund dieser (Teil-)Korrektur der bisherigen Haushaltspolitik ist die (noch) gute Wirtschaftslage und die daraus resultierenden Steuereinnahmen. So kann Hamburg nach der jüngsten Steuerschätzung mit deutlich mehr Steuereinnahmen rechnen als bislang angenommen. Für die fünf Jahre 2018 (plus 198 Mio. Euro) bis 2022 (plus 301 Mio. Euro) sagt die aktuelle Steuerschätzung der Stadt Mehreinnahmen von insgesamt knapp 1,2 Mrd. Euro voraus.

 

Um die durch die Steuereinnahmen gewachsenen Spielräume auch nutzen zu können, mussten allerdings ein paar selbst anglegte Fesseln aufgesprengt werden. So hatte die Bürgerschaft Ende vergangenen Jahres beschlossen, dass der Senat seine Ausgabenpolitik nicht mehr nur am langjährigen Mittel der Einnahmen orientieren soll, sondern bei der Haushaltspolitik eine »Wachstumskomponente« unterlegt. Dazu musste der bis dahin gültige Finanzrahmen des Hamburger Haushalts angepasst werden. Grundlage hierfür ist eine Veränderung des Konjunkturbereinigungsverfahrens, die die Bürgerschaft zwischenzeitlich beschlossen hat.



Der Stützzeitraum für die Bereinigung des Steuertrends beträgt künftig 14 Jahre, zuvor waren es 21 Jahre. »Grundlage des seit 2011 vom Senat verfolgten Finanzkonzepts zur Einhaltung der Schuldenbremse für Hamburg ist die Abkehr von einer jährlichen Beurteilung der Haushaltslage und die Einführung einer langfristigen Planung der Haushaltsentwicklung anhand empirischer Daten der Vergangenheit.« Durch die Umstellung des Berechnungsverfahrens beim Finanzrahmengesetz verschafft sich der Senat Luft für höhere Ausgaben bei gleichzeitiger Einhaltung der im Grundgesetz und der Hamburger Verfassung verankerten Schuldenbremse. Der Ausgabenspielraum steigt so für 2018 um gut 700 Mio. Euro, für 2019 um 800 Mio. Euro und für 2020 sogar um mehr als eine Mrd. Euro.

Dieser Spielraum wurde auch genutzt für einen Nachtragshaushalt für 2018 mit Mehrausgaben von über einer Mrd. Euro vor allem für Kitas, Schulen, Straßensanierung und Polizei vor. Die im Nachtragshaushalt priorisierten Bereiche finden sich auch im Doppelhaushalt 2019/2020 mit entsprechenden Mehrausgaben wieder.

Schaut man genauer auf die für 2018 geplanten Mehrausgaben, bringen z.B. 123 Mio. Euro für mehr Personal in den Schulen, 160 Mio. Euro mehr für die Kitas oder 120 Mio. Euro für die öffentliche Infrastruktur sicherlich deutliche Verbesserungen in diesen Bereichen, werden aber bei weitem nicht den Anforderungen gerecht, die gerade die wachsende Stadt mit sich bringt. In für die Zukunft der Stadt zentralen Bereichen wie Wohnen, Arbeitsmarkt oder Armutsbekämpfung sind charakteristischerweise allerdings überhaupt keine Mehrausgaben vorgesehen. So muss die Behörde für Standentwicklung und Wohnen sich mit 10 Mio. Euro für die Sanierung städtischer Plätze begnügen, bei der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration ist an zusätzlichen Mitteln für die Arbeitsmarktpolitik nichts vorgesehen.

 
Es bleibt allerdings auch beim Doppelhaushalt 2019/20 bei der bisherigen Linie der Haushaltspolitik: Von den veranschlagten Steuererträgen werden »Vorsichtsabschläge« gemacht, die das Ausgabenvolumen begrenzen – auch wenn die Abschläge geringer ausfallen als in der bisherigen Planung. Trotz beträchtlicher Haushaltsüberschüsse und neuer Rahmenbedingungen für die Finanzplanung sollen Personal- und Investitionsausgaben hinter dem Wachstum der Steuereinnahmen zurückbleiben. Das heißt im Klartext: Die bisherige Mängelverwaltung wird trotz wachsender Bevölkerungszahlen und zunehmender Problemfelder fortgeführt. Der Haushalt sei weiterhin »vorsichtig und konservativ« veranschlagt, so Finanzsenator Dressel. Die Tilgung von Schulden sei auch vorgesehen – vor allem nach 2018, »wenn die Belastungen aus dem HSH-Nordbank-Desaster verarbeitet sein werden«.

Insgesamt fehlt in diesem Nachtragshaushalt, wie auch im Entwurf für den Doppelhaushalt 2019/2020, ein Plan für die weitere Entwicklung des Stadtstaates. So zeichnet sich beim aktuell dringlichsten Thema der Stadt, beim Wohnen, keine Änderung der bisherigen Politik ab. Es bleibt bei 3.000 geförderten Wohnungen pro Jahr, die dafür vorgesehen Mittel von etwa 150 Mio. Euro reichen hinten und vorne nicht, um den dringendsten Handlungsbedarf abzudecken.

Stellschraube Personal

Die Teilkorrektur der bisherigen Haushaltspolitik betrifft auch die Personalpolitik. Ex-Bürgermeister Olaf Scholz und der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD) hatten 2011 angekündigt, pro Jahr 250 Stellen in der öffentlichen Verwaltung abzubauen. Mit den dauerhaften Einsparungen von 12,5 Mio. Euro jährlich sollte u.a. die Abschaffung der Studien- und der Kitagebühren finanziert werden. Doch die Operation »Verschlankung des Staates« war ein Desaster, das Streichvolumen wurde in keinem Jahr erreicht. Gleichwohl hat sich der Arbeitsdruck auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst deutlich erhöht, hat sich Bürgerservice der Stadt massiv verschlechtert, von dem vor allem die Bezirke betroffen waren.

Von dieser Linie weicht der rot-grüne Senat jetzt auch offiziell ab. »Wir sind von dem Schema weg, minus 250 Stellen erreichen zu müssen.« Stattdessen gelte jetzt, in den Bereichen zu handeln, in denen es Bedarf gibt. In der blumigen Sprache des Finanzberichts liest sich das so: »Genauso wie in der Haushaltsplanung ein sachgerechter Wachstumsfaktor berücksichtigt wurde, ist zur Gewährleistung der städtischen Handlungsfähigkeit diese Wachstumsstufe in der Personalkapazität vorzusehen, um auf die Anforderungen des Wachstums der Stadt gezielt reagieren zu können. Berücksichtigt sind dabei - wie gezeigt - die gezielten Personalverstärkungen bei den Lehrerinnen und Lehrern, bei Polizei und Feuerwehr, bei Justiz und Bürgerservice. Auch die Integration der Flüchtlinge bildet sich in der Entwicklung der Personalkapazität in einem hohen Maße ab.«

Ausgenommen von Kürzungen waren von Anfang an der Lehrerstellenplan, der Bereich innere Sicherheit mit Polizei und Feuerwehr sowie die Hochschulen. Für die anderen Bereiche aber war der Einsparungsdruck groß, so bei den Bezirksämtern. Das dieser Unsinn nun auch offiziell beerdigt wird, ist zwar löblich, aber weniger Resultat von Einsicht, sondern dem Druck der Verhältnisse geschuldet.

 

Für die nächsten Jahre ist stattdessen im Finanzplan ein weiterer Aufbau von Personal im öffentlichen Dienst vorgesehen. Davon profitieren allerdings in erster Linie die sog. priorisierten Handlungsfelder, also die Sicherheitsdienste und die Schulen. Für die anderen Bereiche wird noch immer mit einem, wenn auch moderaten Abbau geplant: »Unvermeidlichen, zwingend notwendigen Personalverstärkungen in priorisierten Handlungsfeldern sollte ein vertretbarer und machbarer Rückgang des Personalbestandes in den übrigen Bereichen gegenüberstehen. Um den Anforderungen einer wachsenden Stadt gerecht werden und auch die innere Sicherheit weiter stärken zu können, bilden die Planzahlen im Kernbereich der Verwaltung für die kommenden Jahre einen moderateren Personalabbau als bisher ab.« Dies betrifft auch die Bezirksämter, wo in den nächsten Jahren wieder Personal abgebaut werden soll.

Der dargestellte notwendige VZÄ-Aufwuchs in den ausgeweiteten Prioritätsbereichen lasse sich »schon rechnerisch nicht vollständig durch einen Personalabbau in den übrigen Bereichen kompensieren; es geht vielmehr um eine Begrenzung des Personalaufwuchses mit der Zielsetzung, je nach weiterem Wachstumsverlauf in der Stadt perspektivisch eine Stabilisierung des Personalbestandes zu erreichen. (…) Einerseits muss es darum gehen, das Wachstum der Stadt auch personalpolitisch zu gestalten. Andererseits ist ein ungebremstes Anwachsen der Personalkosten mit Blick auf die Vorgaben der Schuldenbremse zu vermeiden.«

Keine Korrektur dagegen hat es an der Festlegung gegeben, die Steigerungsraten für die jährlichen Gehaltserhöhungen auf 1,5% zu begrenzen und Mehrkosten an anderer Stelle einzusparen. »Für die Effekte von Tarif- und Besoldungserhöhungen sowie von Änderungen der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung wurde wie in früheren Haushaltsplanaufstellungen eine jährliche Steigerungsrate von 1,5 % bei der Planung des Personalaufwandes berücksichtigt.«

Stellschraube Investitionen

Der Einsturz der Autobahnbrücke in Genua hat die Frage aufkommen lassen, wie sicher die Brücken in Hamburg, im »Venedig des Nordens« mit seinen rund 2.500 Brücken, sind. Wie nicht anders zu erwarten, sieht der rot-grüne Senat hier keinen dringenden Handlungsbedarf. »Ein Unglück wie in Genua kann niemals mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, ist aber in Deutschland eher unwahrscheinlich«, sagt die Sprecherin der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Verkehr. Die jüngste Bewertung der Bundesanstalt für Straßenwesen kommt allerdings zu einem anderen, weitaus schlechteren Urteil: Danach sind die Brücken in kaum einem Bundesland so marode wie in Hamburg. 27% der Fläche der Autobahnbrücken in der Hansestadt seien in schlechtem Zustand, nur das Saarland komme mit 29% auf einen noch höheren Wert, heißt es in der Untersuchung.

Hinzu kommt: Während sich der Zustand der Autobahnbrücken in den meisten Bundesländern in den vergangenen Jahren durch Sanierung oder Neubau insgesamt verbessert hat, wurde er in Hamburg noch schlechter. Laut einer Auswertung des umfassenden Datenmaterials durch »Spiegel Online« waren 2015 noch 18% der Hamburger Brückenfläche in schlechtem Zustand. In nur drei Jahren hat sich dieser also um 50% oder neun Prozentpunkte auf den aktuellen Anteil von 27% schlecht benoteter Brückenflächen erhöht – und das in Zeiten guter Steuereinnahmen.
Dass es z.B. mit den Brücken in Hamburg nicht zum Besten steht, musste der der rot-grüne Senat kürzlich allerdings selbst einräumen. Wie in anderen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur auch, wurde in den Erhalt und Sanierung der Brücken so wenig Geld investiert, dass ein deutlicher Substanzverlust eingetreten ist.

 

Dabei gibt die Reinvestitionsquote bei den Brücken an, in welchem Verhältnis die Investitionen in diesen Bereich der öffentlichen Infrastruktur zu den Abschreibungen (dem Verschleiß) stehen. Bei einer Quote von unter 1,0 sind die Investitionen niedriger als die Abschreibungen, schrumpft also das Vermögen der Stadt. Nach den Planungen des Senats sollen bei Brücken ab 2020 Investitionen und Abschreibungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, das Vermögen also erhalten bleiben.

Der Verschleiß der öffentlichen Infrastruktur in Hamburg ist Legende. Der Rechnungshof hat in seinen Berichten immer wieder auf den Substanzverlust des öffentlichen Vermögens hingewiesen. »Über Jahrzehnte hat sich in Hamburgs Infrastruktur ein Sanierungsstau aufgebaut. Der Rechnungshof hat in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen die Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur als unzureichend kritisiert und Vorschläge für ein systematischeres Vorgehen gemacht: … Der Rechnungshof stellte zudem heraus, dass es auf Grund ausbleibender Unterhaltung und Investitionen im Bereich der konstruktiven Ingenieurbauwerke zu einem bilanziellen Werteverzehr komme. … Im Bericht ›Monitoring Schuldenbremse 2016‹ hat der Rechnungshof darüber hinaus angemerkt, dass ein Substanzverzehr in Bezug auf die öffentliche Infrastruktur auch in einer rückläufigen Investitionsquote ablesbar sei. Dieser ergebe sich aus dem Verhältnis der Investitionen zu den Abschreibungen.«(1)

Dem will der rot-grüne Senat jetzt begegnen, und hat mit dem Doppelhaushalt 2020 und dem Finanzplan bis 2022 einen »Kurswechsel« bei der Investitionstätigkeit angekündigt. Die »wird in den kommenden Jahren deutlich intensiviert, so dass wichtige Zukunftsprojekte wie z.B. der Schnellbahnausbau, Infrastrukturmaßnahmen im Hafen oder Bau- und Modernisierungsvorhaben an Hochschulen sowie Krankenhäusern finanziert werden können.

Gleichzeitig werden ehemals im Kernhaushalt investiv veranschlagte Vorhaben nach und nach im Rahmen von Mieter-Vermieter-Modellen mittelbar in Form von Mietzahlungen konsumtiv finanziert. Die Sanierung der öffentlichen Infrastruktur wird ab 2019 in ein systematisches Erhaltungsmanagement überführt. Insgesamt ergibt sich unter Berücksichtigung aller Auszahlungen für Investitionen und Darlehen sowie inkl. der globalen Minderauszahlungen der Ressorts eine gegenüber dem Fortgeschriebenen Plan 2018 deutlich aufwachsende Investitionsplanung für die Jahre ab 2019.«

 
Diese »Investitionsoffensive« ist natürlich zu begrüßen, gleichzeitig allerdings die Frage zu stellen, wieso der Schwerpunkt dieser Investitionen jenseits des Zeitraums des Doppelhaushalts 2019/2020 liegt, nämlich 2021 und 2002. Ganz sicher aber reicht das Volumen nicht aus, um den eingetretenen Vermögensverschleiß auch nur halbwegs zu kompensieren.

Mythos Schuldenabbau

Auch im Finanzbericht 2019/2020 wird wieder das hohe Lied der Schuldentilgung gesungen. »Bereits in den vergangenen Jahren sind im Kernhaushalt beachtliche Tilgungsleistungen erbracht worden. Dieser Weg wird weitergegangen. Insgesamt ergibt sich über den Planungszeitraum gerechnet eine Nettotilgung von knapp 1 Mrd. Euro.« Allerdings muss der Senat einräumen, dass der Schuldenstand im Kernhaushalt von 22.381 Euro unter »Einbeziehung der für 2018 geplanten Kreditaufnahmen zur Anschlussfinanzierung sowie der planmäßigen Tilgung und unter Berücksichtigung der Kreditaufnahme zur Finanzierung der Inanspruchnahme der Freien und Hansestadt Hamburg aus der Rückgarantie durch die HSH Finanzfonds AöR (…) bis Ende 2018 voraussichtlich rund 25.112 Mio. Euro« beträgt, sich also um 1,8 Mrd. Euro erhöht. Hinzu kommen die 1,6 Mrd. Euro des Sondervermögens Schulimmobilien Hamburg und die 0,2 Mrd. Euro des Sondervermögens Stadt und Hafen. Für beide Sondervermögen ist ab dem Jahr 2019 keine Netto-Kreditaufnahme mehr vorgesehen, sie erhalten stattdessen Darlehen von der Stadt.

 

Aber diese Zahlen sind nur die halbe Wahrheit. Denn trotz des Jubels über die Haushaltskonsolidierung, der inzwischen etwas verhaltener klingt, rutscht Hamburg immer tiefer in die roten Zahlen. Beachtet man die kaufmännische Bilanz des »Konzerns Hamburg«, sind die Schulden der Stadt 2016 um knapp 2,3 Mrd. Euro gestiegen. Das war ein Plus von 7,8%. Der Hintergrund: Hamburg und Schleswig-Holstein mussten faule Altkredite der HSH-Nordbank übernehmen.

 

Hamburg und Schleswig Holstein waren damit die einzigen Länder in Deutschland, deren Verschuldung 2016 nennenswert anstieg. Die Tendenz hat sich 2017 fortgesetzt. Die Hansestadt hatte in diesem Jahr 32,6 Mrd. Euro Schulden. Sie setzen sich zusammen aus den 22,3 Mrd. Euro Schulden des Kernhaushalts und den 10,8 Mrd. Euro Schulden der Extrahaushalte. Nimmt man noch die Schulden von dem öffentlichen Bereich zuzurechnenden Sonstigen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen in Höhe von 4,9 Mrd. Euro hinzu kommt man auf eine Gesamtverschuldung von 37,5 Mrd. Euro in 2017. Die Pro-Kopf-Verschuldung betrug (ohne Sonstige Fonds etc.) 17.885 Euro. Und: Die Schulden der Stadt sind seit 2010 um 12,4 Mrd. Euro gestiegen, die Pro-Kopf-Verschuldung um 3.750 Euro.

In keinem anderen Bundesland haben sich die öffentlichen Finanzen im letzten Jahr so schlecht entwickelt wie in Hamburg. Immerhin 13 Länder konnten sogar Schulden abbauen. Hamburg hat dagegen die größte Neuverschuldung zu verzeichnen. Die Hansestadt hat ihre Verbindlichkeiten letztes Jahr um 4,7% ausgeweitet und damit so stark wie kein anderes Bundesland. Diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen, wenn die Endabrechnung für die HSH Nordbank vorliegt. Immerhin wissen jetzt mit der Vorlage des Doppelhaushalts 2019/2020, dass der Schuldendienst für die Kredite in Sachen HSH Nordbank den Haushalt schon jetzt mit jährlich 50 Mio. Euro an Zisnen belasten wird.

Zur Finanzsituation der Stadt gehören auch die Sicherungsleistungen in Form von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen. Zum 30.6. 2018 betrug der Gesamtumfang dieser Sicherungsleistungen 16 Mrd. Euro. Gegenüber dem 31.12.2017 hat sich ihr Umfang um 681 Mio. Euro erhöht
Die größten Teildispositionen entfielen dabei auf:
•    die hsh finanzfonds AÖR mit rund 7,2 Mrd. Euro,
•    Die hsh portfoliomangement AöR mit rund 1,0 Mrd. Euro,
•    Die HGV Hamburg Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbh mit rund 3,0 Mrd. Euro,
•    die Hamburg Energienetze GmbH mit 934 Mio. Euro,
•    den Bereich Wohnungsbau mit rund 750 Mio. Euro,
•    die Hamburger Stadtentwässerung mit 500 Mio. Euro.

Non-Thema soziale Spaltung

Soziale Spaltung ist in der Senatsplanung für die nächsten Jahre kein Thema. Darüber können auch einzelne Verbesserungen wie etwa die Aufstockung der Mittel für Seniorenarbeit im Bereich der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz um 400.000 Euro im Jahr, nicht hinwegtäuschen. Auch auf der Landesebene sind Maßnahmen gegen gegen Kinder- und Altersarmut, die Not der alleinerziehenden Frauen, die Not der Langzeiterwerbslosen oder die immer größer werdende Wohnungsnot zwingend erforderlich.

 


Die politische Haltung von Rot-Grün entlarvt sich letztlich als Almosenprinzip gegenüber den Armutserscheinungsformen in den Bezirken und Stadteilen. Im Entwurf des Doppelhaushaltes heißt es: »Der Quartiersfonds wird im Einzelplan 9.2 – Allgemeine Finanzwirtschaft – in der PG 283.01 im Produkt ›Zentrale Bezirksmittel‹ veranschlagt und nicht in den bezirklichen Einzelplänen 1.2 -1.8. Diese Mittel werden unterjährig per Sollübertragung in die Einzelpläne der Bezirksämter übertragen und stehen für eine zweckentsprechende Verwendung zur Verfügung. Als Maßnahme der Stadtteilarbeit können bei ausreichender Mittellage Einrichtungen, Projekte und Initiativen gefördert werden, die für den sozialen Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der Stadtteile von erheblicher Bedeutung sind; hierzu zählen z.B. Quartiers- und Stadtteilbeiräte, Stadtteilbüros, Bürgerhäuser, Community-Center und Stadtteilkulturzentren. Der Quartiersfonds Bezirke ist auf 7 Mio. Euro erhöht worden und wird bei Bedarf im Rahmen der Bewirtschaftung um weitere 3 Mio. Euro erhöht.«

Auch bei der Unterstützung des Baus preiswerter Wohnungen bleibt der Senat mit seiner Zielsetzung, jährlich 3.000 preiswerte Wohnungen zu finanzieren, weit hinter den Erfordernisse zurück. Die im Doppelhaushalt leicht aufgestockten Mittel für die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB Hamburg) müssten verdoppelt werden, um den Bau von 5.000-6.000 preiswerten Wohnungen zu finanzieren.


 
Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zeigt der rot-grüne Senat nach wie vor keinerlei Wille, seine politische Tatenlosigkeit der letzten Jahre zu korrigieren. Dabei gibt es reichlich Handlungsbedarf. Bedrückend ist vor allem die Situation der Langzeiterwerbslosen. So haben in Hamburg 44.291 arbeitslosen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 15.213 – mehr als ein Drittel – sechs Jahre und länger Sozialleistungen bezogen. Hinzu noch 31.292 nicht arbeitslose erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die länger als sechs Jahre im Leistungsbezug sind. Von ihnen befinden sich 3.500 in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, weitere 3.500 fallen aus Altersgründen aus der Arbeitslosenstatistik. Mindestens 22.000 Menschen sind so über Jahre hinweg in der Perspektiv- und Chancenlosigkeit zurückgelassen worden.

Auf Bundesebene wird derzeit an einem Instrument gegen Langzeitarbeitslosigkeit gefeilt. Das Programm zum sozialen Arbeitsmarkt sieht staatlich finanzierte Arbeitsplätze für Hartz-IV-Empfänger*innen, die mindestens sieben Jahre arbeitslos sind, vor. Daneben sollen Coachings und Weiterbildungs-Angebote vermittelt werden. Bundesweit sollen bis zu 150.000 Menschen profitieren, in Hamburg etwa 4.000. Dieses Programm könnte ergänzend werden durch Maßnahmen auf Landesebene, um mehr Langzeitarbeitslose aus ihrer fatalen Situation herauszuhelfen. Die Planungen im Doppelhaushalt sehen das aber nicht vor.

Alternativen

Unter dem Druck der Verhältnisse hat der rot-grüne Senat seine bisherige Politik der Haushaltskonsolidierung (teilweise) korrigiert und nutzt die relativ guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die damit einhergehenden Steuermehreinnahmen, um mit dem Nachtragshaushalt 2018 und dem Doppelhaushalt 2019/2020 mit einer deutlichen Steigerung der Ausgaben einige Fehlentwicklungen in der Stadt zu korrigieren. Dies ist gut so, reicht aber nicht aus. Vor allem fehlt dahinter ein Plan für Hamburgs Zukunft. Das bloße Reagieren auf sich auf städtische Notlagen führt nur zu einer Mangelwirtschaft in Permanenz. Zudem muss bezweifelt, ob schon allein die aus den jährlich 20.000 neuen Bewohner*innen sich zusätzlich ergebenden Anforderungen an die öffentliche Infrastruktur (vor allem Verkehr, Wohnen) und die staatlichen Dienstleistungen mit diesen Ausgabesteigerungen bewältigt werden können – geschweige denn die Beseitigung der sich über lange Jahre aufgebauten strukturellen Defizite.

Beispiel Wohnungsbau. Wenn jedes Jahr 20.000 Menschen zusätzlich in die Stadt kommen, reichen die projektierten 3.000 neuen preiswerten Wohnungen nicht einmal aus, um diese Neuankömmlinge unterzubringen. Am Fehlbestand von 80.000 preiswerten Wohnungen ändert sich nichts, im Gegenteil wird er durch Wohnungen, die aus der Preisbindung fallen, nur noch größer.

Hinzu kommen die großen Probleme in der Wirtschaftsstruktur Hamburgs. Denn trotz aller Positivmeldungen über Wirtschaftswachstum, hohen Beschäftigungsstand und Rekordeinnahmen bei den Steuern, darf nicht vergessen werden, dass vor allem die Hamburger Hafenwirtschaft immense Probleme hat. Das zeigt sich auch darin, dass die Hamburger Wirtschaft im Vergleich der Bundesländer im letzten Jahrzehnt hinterhergehinkt ist. So ist das Bruttoinlandsprodukt in Hamburg seit 2010 um 10,3% gewachsen, der Bundesdurchschnitt aber lag bei 13,1%.


Exemplarisch für die Not der Hafenwirtschaft steht die aktuelle Meldung, dass der Hamburger Hafen nicht mehr wächst und gegenüber den Konkurrenzhäfen in Rotterdam und Antwerpen weiter an Boden verliert. Der gesamte Seegüterumschlag des größten deutschen Hafens ging in den ersten sechs Monaten 2018 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 0,2 Prozent auf 70 Mio. Tonnen zurück. Der Containerumschlag blieb mit 4,45 Mio. Standardcontainern (TEU) auf Vorjahrsniveau. Der Hafen erreicht damit die Containermenge, die auch im ersten Halbjahr 2012 erreicht worden war.

Die großen Probleme der Stadt, wie die immer deutlicher zutage tretende Strukturschwäche der Hamburger Wirtschaft mit ihrer einseitigen Ausrichtung auf die Hafenwirtschaft wie auch die wachsende soziale Spaltung in der Stadt sind mit der im Doppelhaushalt 2019/2020  umgesetzten politischen Linie nicht zu lösen. Ganz zu schweigen von der Bewältigung des immer noch wachsenden Schuldenbergs.

Statt also sich eine Reserve von vier Mrd. Euro für »schlechte Zeiten« auf die Seite zu legen (2)  und eine weitere Mrd. Euro zur Schuldentilgung zu nutzen, sollte der Senat die Mittel nutzen, um die Infrastruktur nachhaltig zu verbessern, eine zukunftsorientierte Strukturpolitik abzustoßen und die brennendsten sozialen Probleme der Stadt anzugehen. Dazu gehört auch und vor allem die Förderung des Baus von preiswerten Wohnungen. Das wäre auch ein wirkungsvoller Beitrag, um die Probleme, die bei einem Konjunktureinbruch auf die Stadt zukommen, schon im Vorfeld zu dämpfen. Der finanziellen Spielraum für solche Maßnahmen könnten zudem noch vergrößert mit einer deutlichen Verbesserung des Steuervollzugs und Initiativen etwa für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer auf Bundesebene. Insgesamt geht es um

  1. Maßnahmen zur Eindämmung der sozialen Spaltung (deutlich verbilligte HVV-Abos und günstige Kulturangebote für Sozialleistungsbezieher, kostenloses Mittagessen in Kitas etc.)
  2. ein großzügig angelegtes Programm für den Bau preiswerter Wohnungen;
  3. Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, die den Vermögensverschleiß beenden;
  4. die endgültige Beendigung des Personalabbaus im öffentlichen Dienst auch in den »nichtpriorisierten Bereichen« wie etwa in den Bezirksämtern. Vor allem die Bezirke brauchen mehr Personal um ihre gewachsenen Verpflichtungen bewältigen zu können. Die unsinnige Beschränkung des jährlichen Wachstums der Personalkosten muss beendet werden, und auch für die Sozialunternehmen sollte diese »Kostenbremse« endlich aufgegeben werden.
  5. und, nicht zuletzt, ein Strukturprogramm für die Hamburger Wirtschaft etwa durch Stärkung bestimmter Cluster (Life Science etc.), die der Krise der Hafenwirtschaft entgegenwirkt.

1) Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg, 26.6.2018; DKS 21/13592.
2) Der bilanzielle Bestand der Konjunkturposition betrug zum Jahresabschluss 2017 rd. 2,7 Mrd. Euro und wird mit den Zuführungen in 2018 sowie den Folgejahren voraussichtlich auf fast vier Mrd. Euro zum Ende des Planungszeitraums ansteigen.

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