1. Dezember 2021 Peter Stahn: Die drohende Zerschlagung ist vorerst verhindert
Erfolgreicher Widerstand bei Opel
Die Beschäftigten von Opel, ihr Betriebsrats und die IG Metall protestierten erfolgreich gegen Stilllegung und Ausgliederung ihrer Werke in Rüsselsheim und Eisenach. Sie wurden unterstützt von den Regierungen der betroffenen Bundesländer Hessen und Thüringen, die Gespräche mit Konzern-Chef Tavares einforderten.
Dieser wurde aufgrund des Widerstands dazu gezwungen, Maßnahmen einzuleiten, dass die von der Konzernetage ausgesetzte Produktion im thüringischen Werk Eisenach im Januar wieder verbindlich aufgenommen wird und den Plan, das Stammwerk Rüsselsheim und das Werk Eisenach aus der Opel GmbH auszugliedern, aufzugeben.
Aber der Reihe nach: Opel gehörte seit 1928 zum amerikanischen Konzern General Motors und wurde Im Jahr 2017 vom französischen Automobilkonzern PSA (Peugeot Société Anonyme) übernommen. Durch den Zukauf der Marke Opel wurde PSA nach Volkswagen zum zweitgrößten Automobilkonzern Europas. Anfang 2021 fusionierte die PSA mit Fiat Chrysler Automobile (FCA) zum neuen Großkonzern Stellantis. Der neue Konzern verlegte seinen Sitz gleich einmal in eine EU-interne Steueroase, die Niederlande.[1] Opel wurde eng mit der im PSA-Konzern für die unterschiedlichen Fahrzeugtypen und -versionen austauschbaren und für den Umstieg auf die E-Mobilität vorbereiteten Produktionsplattform verknüpft. Seit der Übernahme im August 2017 durch PSA wurden im Verlauf der »Integration« in den Konzern tausende Stellen in Werkstatt, Produktion sowie Forschung und Entwicklung bei Opel gestrichen. Die Konkurrenz zwischen französischen und deutschen Standorten wurde verschärft und die Beschäftigten bei Opel dauerhaft mit Stellenabbau und Werksschließungen bedroht.
Die Schlüsselbranche Automobilindustrie erlitt seit 2018/19 einen massiven Absatzeinbruch. Hersteller und Zulieferer gerieten mit der Transformation vom Verbrenner zur Elektromobilität, verstärkt durch die Corona-Pandemie, seit 2020 weiter unter Druck: Trotz jahrelanger Gewinne und Erhalt von Fördergeldern, insbesondere für die Fertigung von Batteriezellen im Standort des Opel-Werks in Kaiserslautern,[2] wurden von der Geschäftsführung Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung infrage gestellt. Versäumnisse des Unternehmens, sich zeitig für die Zukunft fit zu machen, um mit dem Wandel vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität und mit der Digitalisierung Schritt zu halten, wurden so auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.[3]
Mit der Mehrfachkrise[4] des Jahres 2020 – anhaltende Rezession, anstehende Dekarbonisierung und Corona-Pandemie – geriet insbesondere die Automobilindustrie einschließlich ihrer Zulieferer als bundesdeutsche Schlüsselindustrie mit ihren profitgetriebenen internationalen Wertschöpfungs- und Produktionsnetzwerken zusehends unter Druck. Die Pandemie schränkte weltweit Produktionsstandorte und Transportwege ein. Unternehmen verordneten vorgezogene Urlaubszeiten und Kurzarbeit für die Beschäftigten an den jeweiligen Standorten. Die vierte Welle der Pandemie könnte die Krisenhaftigkeit noch einmal vertiefen.
Die Transformation vom Verbrenner zur E-Mobilität verursacht mit neuen Fahrzeug- und Antriebskonzepten tiefgreifende Veränderungen der Wertschöpfungs- und Produktionsstrukturen. Der Strukturkrise (innerhalb der Mehrfachkrise) wird mit einer neuen Baukasten- und Plattformstrategie begegnet. Die neuen flexiblen Fertigungslinien lassen die Produktion je nach Anforderungen einrichten, aber auch vorübergehend stilllegen. Die Beschäftigten unterliegen einem erhöhten Leistungsdruck oder werden in Kurzarbeit geschickt. Nicht zu vergessen, dass bereits viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie der Transformation zum Opfer gefallen sind und ein weiterer Arbeitsplatzabbau von den Wettbewerbern angekündigt ist.
Aufgrund der zerrissenen Produktions- und Lieferketten und dem daraus resultierenden Teile- und Halbleitermangel sank in 2020 der Absatz des Konzerns Stellantis mit seinen 14 verschiedenen Marken um weitere 27% gegenüber 2019[5] auf 1,13 Mio. Fahrzeuge. Der Produktionsausfall im Gesamtkonzern werde in diesem Jahr noch höher sein, als im August geschätzt, sagte Stellantis-Finanzchef Richard Palmer. Damals hatte der weltweit viertgrößte Autobauer erklärt, wegen der Chipkrise 1,4 Mio. Neuwagen weniger zu produzieren als ursprünglich erwartet. Die Wachstumsprognose für den Gesamtkonzern wurde aufgrund der ungewissen Versorgungslage mit Chips auf 5% halbiert gegenüber dem Vorjahr (HB online v. 28.10.2021).
Opel als Marke im Konzern Stellantis hat im Jahr 2020 sogar mehr als ein Drittel weniger Autos, gemeinsam mit der britischen Schwestermarke Vauxhall, nur noch 632.687 Fahrzeuge verkauft. Und aktuell sank der Absatz der Marke Opel und ihrer britischen Schwester Vauxhall in der EU nach Daten des europäischen Herstellerverbandes ACEA um 11,5% auf gut 87.500 Fahrzeuge im dritten Quartal 2021. Aus der Talfahrt ist im Oktober 2021 mit lediglich rund 12.200 Neuzulassungen ein regelrechter Absturz geworden.
Die interne Konzernstrategie stößt auf den Widerstand der Beschäftigten
Der Chipmangel im Konzern brachte Opel besonders in Bedrängnis. Die Chefetage im Steuerparadies Amsterdam beschloss, dass die Produktion des »Opel Grandland« nicht mehr in Eisenach, sondern auf der vergleichbaren Plattform im französischen Souchaux stattfinden soll und ordnete zugleich Kurzarbeit null bis Ende des Jahres in Eisenach an. Die Beschäftigten mussten befürchten, die Verteilung der Chips und damit auch die Verlagerung der Produktion auf andere Werke könnte der erste Schritt der Konzernmutter zur Werkschließung in Eisenach sein. Außerdem wurde bekannt, dass die Konzernetage plant, die rechtliche Verantwortung für die Werke in Rüsselsheim und Eisenach der deutschen Opel GmbH und damit der deutschen Mitbestimmung zu entziehen. Den Beschäftigten von Opel erklärte daraufhin Jörg Köhlinger, Leiter des IG Metall-Bezirks Mitte, sie könnten sicher sein, dass die IG-Metall und der Betriebsrat zusammen mit ihnen Widerstand leisten: »Keine Zerschlagung, dafür Erhalt der Mitbestimmung und Sicherung der Arbeitsplätze an allen Opel-Standorten« (metall 11/12 2021).
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat nach dem angekündigten Produktionsstopp im Eisenacher Opelwerk dem Mutterkonzern Stellantis vorgeworfen, in diesem Falle mit der Beantragung des Kurzarbeitergeldes seine Probleme nicht nur auf dem Rücken der Beschäftigten, sondern zusätzlich auf Kosten der Steuerzahler:innen zu regeln: »Es geht darum, ob das Kurzarbeitergeld mit einkalkuliert wird, für die eigene Gesamtproduktivitäts-Rechnung.« Wenn der Weltkonzern meine, gut durch die Krise gekommen zu sein, dann wäre das ein »bitteres Entlasten des eigenen Versagens auf dem Rücken der Steuerzahler.«[6]
Aufgrund des Widerstands der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte, der IG Metall und der Kritik aus der Politik kündigte die Chefetage von Stellantis an, die Produktion werde in Eisenach im Januar wieder aufgenommen. Außerdem erklärte Konzernführer Tavares, bekannt als knallharter Sanierer, von seiner Idee abzurücken, das Opel-Stammwerk in Rüsselsheim mit seinen 2.100 Mitarbeiter:innen und das Werk in Eisenach, in dem (derzeit auf Kurzarbeit null gesetzt) rund 1.400 Mitarbeiter:innen beschäftigt sind, aus der Opel Automobile GmbH herauszulösen und in eine eigenständige Gesellschaft zu überführen (HB online und Tagesschau online v. 17.11.2021). Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Uwe Baum bezeichnete den Verbleib »in der Opel-Familie« als einen großen Erfolg: »Der Widerstand der Betriebsräte und der IG Metall haben zusammen mit dem Engagement der Belegschaft und der Unterstützung der Politik Wirkung gezeigt«, und Jörg Köhlinger, erklärte: »Ich hoffe, dass das Management in Zukunft das Unternehmen konstruktiver und transparenter lenkt und Opel ab jetzt nur noch mit innovativen Fahrzeugen die Beschäftigten und die Öffentlichkeit begeistert.« (Hessenschau v. 17.1..2021)
Trotz des Erfolgs der Beschäftigten, des Betriebsrates und der Gewerkschaft, die Pläne des Konzerns, bei die deutschen Standorte von Opel bis auf das mit Milliarden geförderte und für die Zukunft Extraprofite versprechende Batteriezellenwerk mit Standort Kaiserslautern auf kaltem Wege zu zerschlagen, vorerst zum Scheitern gebracht zu haben, ist ihre Wachsamkeit weiter gefordert. Die Befürchtung bleibt weiterhin bestehen, dass der Konzern auf anderen Wegen versuchen wird, den Druck auf die Beschäftigten hochzuhalten, schrittweise weitere Tausende Jobs zu streichen, um so die Effizienz in Krisenzeiten weiter zu erhöhen.
Keine Arbeitszeitverkürzung in Eisenach
Die Rigorosität, mit der die Konzernführung versucht, auf dem Rücken der Beschäftigten auch in Krisenzeiten eine »angemessene« Rendite zu erzielen, zeigte sich kürzlich auch bei der erneuten Ablehnung der 35-Stunden-Woche ungeachtet des mit Warnstreiks begleiteten und von der IG Metall per Rahmentarifverhandlung erreichten betrieblichen Einstiegs in die Angleichung der Arbeitszeiten der ostdeutschen Metallindustrie an den Westen, zunächst auf 37 Stunden pro Woche in 2022 und dann 35 Stunden in 2026. Ungeachtet der Entscheidung von BMW, Porsche und Volkswagen zum Abschluss einer Stufenvereinbarung zur Einführung der 35-Stunden- Woche im ihren ostdeutschen Werken, müssen die Beschäftigten bei Opel in Eisenach weiterhin 38 Stunden pro Woche arbeiten. Ein Opel-Sprecher sagte: »Bei uns gibt es derzeit keine entsprechenden Planungen dazu.«[7]
Peter Stahn ist aktiv in den Sozialistischen Studiengruppen (SOST) und Redakteur von vorortLinks. Der Beitrag erschien zuerst in der Printausgabe von Sozialismus.de 12.2021.
Anmerkungen
[1] 2019 bezeichnet das EU-Parlament die Niederlande als Steueroase. Die von der EU angestrebte globale Mindestbesteuerung von Unternehmen wartet auf ihre Umsetzung.
[2] Das Projekt, genehmigt von der EU-Kommission, soll mit 1,7 Mrd. Euro für den Bau einer Batteriezellenfabrik mit 2.000 Arbeitsplätzen mit Geld vor allem aus Frankreich und Deutschland gefördert werden. Eine identische Fabrik soll in Frankreich gebaut werden. Für beide Fabriken sollen sechs Mrd. Euro investiert werden. An dem entstehenden Batterie-Konsortium sind der französische Batteriehersteller Saft, der zum Total-Konzern gehört, die französische Opel-Mutter PSA und Mercedes-Benz als dritter Partner (vgl. SWR4 RheinlandPfalz vom 2.9.2021) beteiligt.
[3] Vgl. Peter Stahn: Zur Zukunft der Autoindustrie in Hessen. Kahlschlag bei Opel vorerst vom Tisch? in: Sozialismus.de, Heft 11/2020
[4] Siehe auch Joachim Bischoff, 2020: Krisenjahr des Neoliberalismus, in: Sozialismus.de, Heft 11/2021.
[5] Zum Vergleich: Die Neuzulassungen in Europa sanken um 24%.
[6] Vgl. dpa vom 10.10.2021.
[7] Automobilwoche vom 12.11.2021.