Der rechte Rand

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1. November 2017 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Einschränkungen bei der Daseinsvorsorge – Stromsperren sollten tabu sein

Die Stromversorgung als grundlegendes Element der Daseinsvorsorge ist durch die derzeitige Rechtslage für Hunderttausende Menschen in Deutschland nicht gesichert. In Deutschland gehört Energie- und Wasserversorgung sowie Zugang zu einer Wohnung nicht zu den garantierten Grundrechten. Ein zivilisiertes Leben ohne Strom und Wasserversorgung aber ist kaum möglich.

Denn ohne Elektrizität funktioniert in Wohnungen oft nichts – weder Licht und Telefon noch Internet und Herd. Trotzdem drohen Unternehmen immer wieder mit Strom und Wassersperren für Privathaushalte, die in Zahlungsverzug geraten sind. Über 330.000 Haushalte in der Bundesrepublik mussten 2016 zeitweise ohne Elektrizität auskommen, weil die Stromlieferanten die Versorgung kappten. Wie oft in Deutschland Haushalte ohne Wasser auskommen mussten, ist nicht bekannt. Betroffen seien arme Haushalte, zu denen aber keinesfalls nur Bezieher von Arbeitslosengeld und Hartz IV zählten. Die meisten Haushalte, die betroffen sind, haben zu wenig Geld für Energie, und Energie kann man auch nicht so einfach beeinflussen, man kann nicht so einfach auf Energie verzichten, wie das vielleicht bei dem einen oder anderen Konsumprodukt ist.

Die Anzahl der Hamburger Haushalte, denen wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgestellt wurde, ist im vergangenen Jahr stark angestiegen. 10.948 Mal hat der Netzbetreiber Stromnetz Hamburg GmbH Stromkunden den Stecker gezogen. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Zuwachs um 4.260 Fälle oder 64% (1) . 2015 waren es noch 6.688 Stromsperren gewesen.

Und diese Tendenz hat sich auch 2017 fortgesetzt: Im 1. Halbjahr wurde bereits 5.200mal Haushalten der Strom abgedreht.

 

Neben den Sperrungen
hat Vattenfall 2016 mehr als 713.300 Mahnungen (2)  wegen nicht bezahlter Stromkosten versendet. Damit kommen auf die betroffenen Haushalte hohe Zusatzkosten zu, die sie kaum stemmen können. Denn sie müssen nicht nur die aufgelaufenen Rechnungen und Mahnkosten, sondern auch die Sperrung und den späteren Wiederanschluss selbst bezahlen. Für jede verschickte Mahnung berechnet der Grundversorger Vattenfall beispielsweise 3,10 Euro, Sperrung und Entsperrung des Stromanschlusses kosten die Betroffenen zusätzlich rund 80 Euro.

 

Nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit steigt die Zahl der Stromsperrungen seit Jahren an. So wurde 2016 mehr als 330.000 Haushalten in Deutschland binnen eines Jahres der Strom abgestellt. Von 2011 bis 2015 schwankte die Zahl der jährlichen Stromsperren zwischen rund 312.000 und 352.000. Neben den Sperrungen der Anschlüsse hat es 2016 zudem etwa 6,6 Mio. Sperr-Androhungen gegen säumige Zahler gegeben. Ein zentraler Faktor: Seit dem Jahr 2000 haben sie sich für Haushaltskunden auch durch die Zusatzlasten der Energiewende von 15 Cent pro Kilowattstunde auf um die 30 Cent verdoppelt. Die durchschnittlichen Realeinkommen legten im selben Zeitraum nicht annähernd so stark zu.

Ein Haushalt gilt dann als energiearm, wenn dessen Haushalts-Nettoeinkommen nach dem Abzug der Energiekosten unter der 60-Prozent-Armutsgefährdungsschwelle liegt. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung (2016) gelten demnach 21,5% aller Haushalte in Deutschland als energiearm. Von den Haushalten, die Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beziehen, gelten sogar 91,3% als energiearm. Gleichzeitig steigen die Strompreise weiter. Inzwischen übersteigen die Stromkosten sogar den Anteil für Energie am Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe beziehungsweise Grundsicherung im Alter um rund 35 Euro für eine alleinstehende Person deutlich. Immer häufiger müssen Bezieher/-innen von Mindestsicherung Darlehen bei den zuständigen Ämtern beantragen, um ihre Stromkosten zu begleichen.

Logischerweise betrifft also Energiearmut vor allem die unteren Einkommensschichten. Die steigenden Energiekosten belasten sie sehr viel stärker als die oberen Einkommensschichten.


 
Von großen finanziellen Belastungen oder Einschränkungen in direktem Zusammenhang mit dem Energiekonsum betroffen sind vor allem Haushalte, die zum untersten Dezil der Haushaltseinkommensverteilung gehören. »Etwa 37% der Haushalte, die zu den untersten 10% der Haushaltseinkommen zählen, berichten von Deprivation in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Energiekonsum. Dies umfasst auch Zahlungsprobleme oder zumindest große finanzielle Einschränkungen. Die Betroffenheit nimmt dabei jedoch mit steigendem Einkommen rasch ab.« (3)

Betroffen von Energiearmut und Stromsperren sind aber nicht nur Menschen im Grundsicherungsbezug, sondern auch Beschäftigte mit geringen Einkommen und RentenerInnen. »Die Häufigkeit des Auftretens von Stromsperren hält sich zwischen den Haushalten mit bzw. ohne Grundsicherungsbezug in etwa die Waage (…). Außerhalb der Grundsicherung konzentrieren sich Stromsperren in den unteren Einkommensbereichen. Etwa zwei Drittel der Stromsperren fallen demnach im Bereich der untersten 40% der Äquivalenzeinkommen an. Knapp 80% der Stromsperren in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung (vgl. Abbildung 3). 17% der außerhalb der Grundsicherung von Stromsperren betroffenen sind Rentner, in einem Drittel der Haushalte leben Kinder. Etwa 22% der Haushalte sind Single-Haushalte.« (4)

Energiearmut ist nur eine Facette der verfestigten sozialen Spaltung auch in Hamburg. Wesentliche andere Treiber für die Tatsache, dass immer mehr Menschen in soziale Nöte geraten, sind die ständig steigenden Mieten, die im jährlichen Rhythmus erfolgenden Preissteigerungen beim Öffentlichen Nahverkehr, oder auch, wie jetzt in Hamburg angekündigt, Erhöhung des Wasserpreise. So liegt etwa der Anteil der Mieten am Einkommen bei Menschen mit geringen Einkommen in Hamburg bei bis zu 45 %. Dabei geraten auch immer mehr erwerbstätige Menschen durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse bei hohen Mieten und Lebenshaltungskosten immer häufiger in eine Spirale der Verschuldung.

Selbst der rot-grüne Senat räumt ein, dass die Wasser- und Energieversorgung zu den wesentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge gehört. Die durch diese Aufgaben entstehenden Kosten sind in den Kalkulationen angemessen zu berücksichtigen. D.h. wie beim öffentlichen Personennahverkehr gehören die regelmäßigen Preiserhöhungen bei Energie und Wasser zu den Standardaufgaben. Der Senat sieht die vorgesehenen Preisanhebungen gen als erforderlich an, um neben der Hauptaufgabe der Daseinsvorsorge auch zukünftig die Ergebnisziele der öffentlichen Unternehmen abzusichern. Die sozialen Folgen fallen aus der Betrachtung heraus.

Wie immer, wenn es um das Thema soziale Spaltung geht, sieht der rot-grüne Senat auch im Falle der Stromsperren und der Energiearmut keinen Handlungsbedarf. In der Sozialbehörde sieht man keinen Grund, etwas gegen die gestiegenen Zahlen zu unternehmen. »Der Staat bietet Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Stromrechnungen nicht zahlen oder nicht zahlen können, verschiedene Hilfsangebote an«, sagt Enrico Ickler, Referent von Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). Jobcenter würden unter Umständen Stromschulden übernehmen, Schuldnerberatungsstellen würden allen BürgerInnen offenstehen.

Dagegen betont die Bürgerschaftsfraktion der LINKEN zu Recht: »Der Zugang zu Strom, Gas und Wasser ist eine Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben und ein Grundrecht aller Menschen. Die aktuellen Zahlen machen deutlich: Hamburg muss endlich konsequent die Energiearmut bekämpfen, zum Beispiel durch Clearingstellen für Energieschuldner_innen und die Aufhebung der Hürden für einen Wechsel zu günstigeren Versorgungsunternehmen.«

Zum Maßnahme-Set gehören sollte auch eine Sozialtarif für Energie für GrundsicherungsempfängerInnen und Menschen mit niedrigen Einkommen. Zudem sollten Stromsperren durch die Energieversorger aufgrund von Zahlungsunfähigkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern gesetzlich untersagt werden. Außerdem geht es darum, über eine Änderung der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) eine gesetzliche Mitteilungspflicht der Energiedienstleister bei Zahlungsunfähigkeit privater Haushalte an die Sozialbehörden eingeführt werden, um den Betroffenen Hilfe anzubieten, Zahlungsfähigkeit wieder herzustellen und Überschuldung zu vermeiden. Schließlich geht es um eine angemessene Erhöhung von Grundsicherungsleistungen.

 1) Als Ursache für den auch im Bundesvergleich besonders sprunghaften Anstieg in Hamburg im vergangenen Jahr vermutet der Hamburger Stromnetzbetreiber aber, dass die Kunden vor der Sperrung nicht mehr wie bislang zwei Mal gewarnt werden. Sollte das der Fall sein, darf der Senat dem nicht tatenlos zusehen, sondern muss auf Änderung dringen.
 2) Bei den Werten handelt es sich um die Summe an versendeten Mahnungen (erste Mahnung, zweite Mahnung, Sperrankündigung, Sperrauftrag) für den Strom- und Gasbereich.
 3) Peter Heindl/Andreas Löschl, Analyse der Unterbrechungen der Stromversorgung nach §19 Abs. 2 StromGVV,
Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Oktober 2016, S. 14
 4) Ebd., S. 30


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