Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

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Linke Kommunalpolitik –
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ISBN 978-3-89965-578-0

29. Mai 2019 Joachim Bischoff: Die Ergebnisse der Europa- und Bezirkswahlen

Der Absturz der SPD und die »Hamburger Bordmittel«

Der politische Absturz der Sozialdemokratie in der Hansestadt Hamburg sowohl bei den Europa- als auch bei den Bezirkswahlen ist unübersehbar. In beiden Wahlen liegen die Stimmverluste bei über 10%. Die tektonische Verschiebung in den Präferenzen stärkte die Grünen.

Hamburgweit kamen sie auf 31,2% bei den Wahlen zum EU-Parlament.

Bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen fuhren sie ein Plus von 13,1 Punkten auf 31,3% gegenüber den Wahlen von 2014 ein. Auch hier also ein vergleichbares Ausmaß der Veränderung in der politischen Landschaft.

Die CDU kann von dem seit Jahren anhaltenden Niedergang der Sozialdemokratie nicht partizipieren. Dass sie als Oppositionspartei bei 18% festhängt, ist nach den letzten Umfragen keine Überraschung. Selbst parteiintern gibt es wenig Zweifel daran, dass der vor Jahren proklamierte Erneuerungsprozess nicht vorangekommen ist. Zu einer Annäherung an die Konzeption eine liberal-konservative Großstadtpartei gibt es in der Hamburg CDU viele Widerstände.

Die Partei ist weit von einer Rückkehr zur Gestaltungskraft der Hamburger Politik entfernt. Sie ist auf den dritten Platz in der politischen Rangfolge an der Alster abgerutscht. Der rechtskonservative Konfrontationskurs nach dem Abtritt von Ole von Beust kann durch kurzatmige Umarmungsversuche der »Grünen<«nicht überdeckt werden. Als Ziel für die Bürgerschaftswahl im Februar 2020 bleiben dem CDU-Fraktionschef André Trepoll nur politische Plattitüden: Man müsse das Wahlergebnis »deutlich zu verbessern«, um »wieder in Regierungsverantwortung zu kommen«.

Bei der Sozialdemokratie waren Verluste erwartet worden, aber angesichts der Hilflosigkeit der Opposition hatte man eher mit einem erträglichen Rückgang gerechnet. Die Kommentierung des eingetretenen dramatischen Rückgangs der Stimmenanteile enthüllt die Konzeptionslosigkeit der politischen Führung: »Es liegt nicht in unserer Hand, die bundesweite Stimmungslage (...) mit Hamburger Bordmitteln umzudrehen.« (Bürgermeister Peter Tschentscher mit Blick auf die Bürgerschaftswahlen) Ziel bei den Bezirkswahlen sei es gewesen, die Mehrheiten zu verteidigen. »Insofern ist das ein Rückschlag.« Durch die Umfragen vor der Wahl sei man auf das Ergebnis vorbereitet gewesen, assistiert die Landesvorsitzende Melanie Leonhard. »Dennoch ist das nichts, was man schönreden kann.«

Das Ausmaß der Niederlage traf die SPD-Führung in der Hansestadt schwer. Wie auf Bundesebene ist keine Bereitschaft zu einer schonungslosen Analyse zu erkennen. Die Bezirkswahl können nicht als Vorbote der Bürgerschaftswahl im nächsten Jahr gesehen werden. »Bei der Bürgerschaftswahl geht es um Hamburg und nur um Hamburg«, sagte SPD-Chefin Leonhard. Zwar habe man sich mehr erhofft, aber stadtpolitische Themen hätten eine untergeordnete Rolle gespielt. Der Senat genieße ansonsten sehr hohes Vertrauen in der Bevölkerung.

Bürgermeister Tschentscher ging auch auf das vermeintliche Mega-Thema Klimapolitik ein, dass vermeintlich für den Aufwärtstrend bei den Grünen verantwortlich sei. »Klimawandel und Klimaschutz sind gesamtstaatliche Aufgaben, deren Lösungen man nicht nur einer Partei überlassen darf«, sagte er. In den Bezirken würden sich einige Mehrheiten neu sortieren, aber er rechne deswegen nicht mit Blockaden. Für die Bürgerschaftswahl sei es nun wichtig, die entscheidenden Themen der Stadt wieder in den Vordergrund zu rücken – dann würde die SPD auch wieder besser abschneiden. Bei der Bürgerschaftswahl 2020 werde die SPD deshalb sehr darauf achten, »dass landespolitische Themen im Vordergrund stehen«. Man habe ein Gespür für die Themen der Stadt und auf die werde man jetzt setzen.

Dass allein mit Hamburger Bordmitteln der Bundestrend nicht gedreht werden kann, ist sicher zutreffend. Aber was bewirkt den chronischen Niedergang der Sozialdemokratie – bundesweit wie in den Stadtstaaten? Der Hinweis, mit einer Betonung der landespolitischen Themen wolle man eine Stabilisierung erreichen, ist eine Ausflucht. Die Themen sind seit Anfang dieses Jahres bekannt.

Im Vergleich zu vor vier Jahren hat sich die Wahrnehmung der Probleme in der Hansestadt deutlich verändert. Probleme der Flüchtlingsmigration werden wesentlich seltener genannt als im Umfeld der letzten Bürgerschaftswahl (-18). Dagegen sorgen Verkehrsthemen (+14) sowie die Wohn- und Mietsituation (+9) für wachsenden Unmut. Mit 38% betreffen die meisten aktuellen Problemnennungen Fragen von Stadtverkehr und Mobilität, gefolgt von der angespannten Situation am Hamburger Wohnungsmarkt (32%). An dritter Stelle steht die Schul- und Bildungspolitik (26%).

Hamburg ist eine Mieterstadt. Sieben von zehn Wahlberechtigten wohnen nicht in den eigenen vier Wänden. Die meisten Hamburger Mieter (63%) sehen in den steigenden Mieten zwar keine unmittelbar Bedrohung für die eigene Lebenssituation, aber ein beachtlicher Teil befürchtet, dass die Mietendynamik sie in bereits absehbarer Zeit existenziell überfordern könnte. So äußert gut jeder dritte Hamburger Mieter (36%) große bis sehr große Sorgen, seine jetzige Wohnung in fünf Jahren nicht mehr finanzieren zu können.

Unter den Parteianhängern bestehen Ängste vor einer finanziellen Überforderung insbesondere bei den Wählern von Linken (46%) und AfD (48%). Mieterorganisationen, Sozialverbände, Gewerkschaften u.a. sind sich einig: Auch in Hamburg ist bezahlbares Wohnen die ungelöste soziale Frage unserer Zeit. Drastisch steigende Mieten seien einer der Gründe für die Politikverdrossenheit. »Angesichts der aktuellen Wohnungsnöte helfen reine Absichtserklärungen, eine verfehlte Schwerpunktsetzung und halbherzige Gesetzentwürfe nicht.«

Die Schlussfolgerung aus dieser Übersicht der drängenden Themen: Bloße Absichtserklärungen und halbherzige Maßnahmen bringen keine Wahlerfolge, sondern von der Sozialdemokratie wie von der politischen Linken insgesamt werden nachhaltige Handlungsschritte erwartet.

Auch bei den Europawahlen gibt es eine eindeutige Rangfolge über die wahlentscheidenden Themen: Klima- und Umweltschutz (48%), gefolgt von Sozialfragen (43%), Friedenssicherung (35%) und Migration (25%).

Ein Jahr vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg zeichnen sich angesichts der wachsenden Probleme bei Mobilität und Wohnen die relevanten landespolitischen Themen ab. Umstritten sind nicht die Politikfelder, sondern die Antworten, die die Sozialdemokratie bereithält. Der Kompetenzverlust auf diesen Feldern bei der Sozialdemokratie ist bekannt:

Die SPD erhält für die wichtigen landespolitischen Themen deutlich geringere Kompetenzzuschreibungen, was keineswegs allein ein Vermittlungsproblem ist. Die Hamburger Grünen gewinnen seit ihrem Senatseintritt deutlich Kompetenzen hinzu. In der Verkehrspolitik (24%, +10) wecken die Grünen in der Stadt aktuell ebenso viele Erwartungen wie ihr größerer Koalitionspartner. Zugleich genießen sie in Verkehrs- und Mobilitätsfragen in Hamburg einen stärkeren Rückhalt als die CDU, ebenso beim Einsatz für soziale Gerechtigkeit (17%, +9) und für bezahlbaren Wohnraum (13%, +7).

In einer Umfrage in Hamburg aus dem Frühjahr 2019 zeichnete sich der Trend zu einer Verschiebung der politischen Gewichte in der rot-grünen Regierungskoalition bereits deutlich ab: Die Grünen wurden im März mit einem neuen Rekordergebnis von 29% bei einer Bürgerschaftswahl und lagen nicht mehr weit hinter der SPD, für die 35% der Stimmen ausgewiesen wurden. Bei einer Bundestagswahl würden die Grünen in Hamburg sogar mit 32% deutlich stärker abschneiden als die SPD, die hier auf nur 24% käme.

Die gewachsene Bedeutung der Klima- und Umweltpolitik erklärt also den Kompentenzzuwachs der Grünen nur begrenzt. Die SPD hat bundesweit wie in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin nur ein halbherziges Angebot und eine sachpolitische Trendwende ist nicht in Sicht.

Bei den Bezirkswahlen vor fünf Jahren hatte die SPD hamburgweit noch 35% der Stimmen erhalten – was damals schon einen Verlust von 10% bedeutete. Die Grünen kamen seinerzeit im Schnitt aller Bezirke auf 18,5%, die CDU war außer in Eimsbüttel noch überall zweitstärkste Partei mit 24%. Im Vergleich wird nun deutlich, wie stark sich die Wählergunst verschoben hat.

Der bundesweite Trend des Niedergangs der SPD spiegelt sich auch in Hamburg. Die SPD könnte aktuell in der Hansestadt nur noch mit einem Stimmenanteil zwischen 25 und knapp 20% rechnen. Sie verliert damit im Vergleich zur Bürgerschaftswahl vor vier Jahren enorm an politischer Akzeptanz und muss auch wie in Bremen damit rechnen, dass sie nicht mehr als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgeht und damit eine weitere Regierungsbeteiligung nur als Juniorpartner vorstellbar wird.

Die veränderten Einschätzungen der Problemlagen zeigen sich wie im Bund auch in Hamburg in einem Aufwärtstrend der Grünen. Obwohl auch in der Regierungsverantwortung haben sie sowohl bei den Europa- wie den Bezirkswahlen die 30%-Marke überschritten. Sie gewinnen die Mehrheit in vier von sieben Bezirken und schlagen die Sozialdemokraten sogar in ihrer Herzkammer Mitte. Den Grünen ist damit der Ausbruch aus ihren Stammmilieus gelungen. »Das übertrifft meine wildesten Hoffnungen«, sagte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), ohne sich weiter zu einer möglichen direkten Bürgermeister-Kandidatur zu äußern.

»Cool, bleiben, weiterarbeiten« ist vermutlich eine erfolgreiche Strategie, mit dem die die Grünen ihren Kompetenzzuwachs ausbauen können, solange die noch führende Sozialdemokratie und die Opposition in der Bürgerschaft nicht auf die landespolitischen Themen neue Antworten entwickeln.

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