Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

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Reiner Rhefus
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Lebenswertes Hamburg
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Karl Marx war fünf mal in Hamburg?

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Linke Kommunalpolitik –
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DenkMal Friedhof Ohlsdorf
33 Stätten der Erinnerung und Mahnung | Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft – Geschichtswerkstatt e.V.
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Das etwas andere Kochbuch

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ISBN 978-3-89965-578-0

15. November 2014 Klaus Bullan

Soziale Spaltung in Hamburgs Bildung

Die Behörde für Schule und Berufsbildung hat den Bildungsbericht 2014 herausgegeben. Dieser dritte Bildungsbericht nach 2009 und 2011 bestätigt die Befunde der Vorgänger: Die Bildungserfolge hängen in Hamburg extrem stark von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler ab. Selbst das Hamburger Abendblatt hält das in seiner Überschrift für die zentrale Aussage dieser aktuellen Bestandsaufnahme über das Bildungssystem in Hamburg.

Da erstaunt die Aussage des Bildungssenators in seinem Vorwort zu diesem Bericht, in dem er sich feiert für ein »modernes und leistungsfähiges Schulsystem«, das es im Sinne des »Schulfriedens« »zu wahren und zu stärken« gilt. /5/ Ihm liegt vor allem am Herzen, »dass sich die Leistungen von Schülerinnen und Schülern trotz gleicher schulischer Ressourcen, gleichen Schulsystems und soziologisch ähnlicher Schülerschaft erheblich unterscheiden. Grund dafür sind erhebliche Unterschiede in der Qualität des Unterrichts und der schulischen Arbeit.« /6/

Das mag sein, ist aber nicht Gegenstand des Bildungsberichts, dem es vielmehr um die sozialen Disparitäten bei der Bildung geht: »Ähnlich wie die Nutzung von Bildungsangeboten sind auch Ergebnisse von Bildung im Sinne erworbener Kompetenzen und formaler Abschlüsse eng mit familiären und sozioökonomischen Voraussetzungen gekoppelt: In allen vergleichenden Leistungsstudien ... zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der sozialen Belastung der Schülerschaft und ihren Kompetenzwerten.« /11/

Es ist selbstverständlich einfacher, die Qualität des Unterrichts – und damit die Lehrkräfte – für die fehlende Chancengleichheit verantwortlich zu machen, als die sozialen Strukturen, unter denen Schule in einer gespaltenen Stadt wie Hamburg stattfindet. Verantwortungsvolle sozialdemokratische  Bildungspolitik sieht anders aus.

Angesichts der »Schuldenbremse« steht die Bildungspolitik in Hamburg vor schwerwiegenden Herausforderungen, denn im Unterschied zu den meisten übrigen Bundesländern gibt es in Hamburg steigende Schülerzahlen auch noch in den kommenden Jahren. Hinzu kommt, dass die Verweildauer im Bildungssystem trotz Schulzeitverkürzung an Gymnasien gestiegen ist und weiter steigt, weil höhere Bildungsabschlüsse und die Verlängerung der Regelschulzeit auf 10 Jahre diesen Effekt überkompensieren. Hinzu kommt der massive Ausbau des Kindertagesstättenbereichs und der Ausbau der Ganztagsangebote an Schulen, die im Jahr 2014 fast alle Schulen erfasst hat. Angesichts dieser Entwicklungen wundert es nicht, dass sich zunehmend Initiativen – vor allem von Eltern – für eine bessere Ausstattung des Ganztags und auch der Inklusion, des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf bilden.

 

Haushalte mit Kindern und Jugendlichen sind im Stadtzentrum und um die Alster seltener, die meisten Kinder im schulpflichtigen Alter wohnen in Rahlstedt, Billstedt und Wilhelmsburg. Die Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund steigt weiter an. Ihr Anteil an den unter 18-Jährigen ist von 43,9 (2009) auf 45,8% (2012) gestiegen, bei den 6-10 Jährigen liegt dieser Anteil bei 48,2%. Im Süden und Osten des Bezirks Mitte haben mehr als 60% einen Migrationshintergrund, absolut am meisten davon leben in Wilhelmsburg und Billstedt. Diese Stadtteile Hamburgs sind es auch, in denen die meisten Kinder und die meisten Familien leben, die Sozialleistungen beziehen – in den genannten Stadtteilen sind es durchgängig mehr als 35% der jungen Menschen unter 18 Jahren.

Die soziale Segregation schlägt auf die Beteiligung an Bildung von der Kinderkrippe bis hin zum Abitur und der beruflichen Bildung durch.

Auch wenn die Kindertagesbetreuung in Hamburg in den letzten Jahren massiv ausgebaut und heute fast 100% der Fünfjährigen in Vorschulen und Kitas betreut werden und mehr als 40% der Zweijährigen, ist die Beteiligung vom Stadtteil, der sozialen Lage und der Herkunft abhängig: »Von den zwölf Stadtteilen, in denen sowohl überdurchschnittlich viele Kinder mit Migrationshintergrund als auch überdurchschnittlich viele Kinder von Sozialleistungen leben, weisen acht Stadtteile deutlich unterdurchschnittliche Betreuungsquoten (der unter Dreijährigen) auf, die unter 30 Prozent liegen (Veddel, Wilhelmsburg, Billstedt, Hausbruch, Jenfeld, Harburg, Dulsberg und Rothenburgsort; in den vier weiteren Stadtteilen liegen die Betreuungsquoten zwischen 30 und 35 Prozent (Lurup, Horn, Steilshoop und Neuallermöhe).« /58/

Auch beim Besuch des Gymnasiums zeigt sich, dass die soziale Herkunft entscheidend ist: »Die Gymnasialempfehlung[1] steht ihrerseits in einem engen Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Hintergrund der Fünftklässler: Je höher der Sozialstatus des Wohngebiets der Schülerinnen und Schüler ist, desto eher wird der Besuch des Gymnasiums empfohlen: In der Gruppe der Schülerinnen und Schüler aus Gebieten mit sehr niedrigem Sozialindex (nach RISE-Index) erhält nur jeder fünfte eine Gymnasialempfehlung (21%), in Gebieten mit hohem Sozialstatus mehr als jeder zweite (60%).« /84/

So ist der Unterschied zwischen Stadtteilschulen und Gymnasien ein Unterschied der sozialen Herkunft der Schülerschaft. 30% der Gymnasialschüler stammen aus Wohngebieten mit hohem sozialem Status und nur 12% aus solchen mit niedrigem sozialen Status, bei den Stadtteilschulen ist das genau umgekehrt.


 

Auch Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf leben häufiger in ungünstigen sozialen Wohnlagen. Fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler, die einen Förderbedarf im Bereich: »Lernen«, »Sprache« und »emotionale und soziale Entwicklung« haben, leben in Gegenden mit sehr niedrigem oder niedrigem sozialen Status. Auch Kinder mit Migrationshintergrund sind in dieser Gruppe deutlich überrepräsentiert.

Die soziale und ethnische Herkunft spielt auch bei den Schulabschlüssen eine entscheidende Rolle. Während der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei allen Abiturient_innen nur knapp 18% beträgt, liegt er bei denjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, bei fast 42%.

Der Wohnort entscheidet in Hamburg, wer welchen Schulabschluss macht: Während 80% der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund, die in eine Schule gehen, die  einen hohem Sozialstatus hat, Abitur machen, sind es in einer Schule mit sehr niedrigem Sozialstatus nur 39%.[2] Auch bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist die soziale Lage entscheidend: An einer Schule mit hohem Sozialstatus machen auch 70% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund das Abitur. Aber das bedeutet zugleich, dass trotz Berücksichtigung des sozialen Status Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund bestehen bleiben.

»So finden sich die höchsten Abiturquoten in den Elbvororten, den Walddörfern und in der Mitte Hamburgs. Die drei Stadtteile mit den höchsten Abiturquoten sind dabei Blankenese, Othmarschen und Nienstedten. (….) Die höchsten Quoten von Schulentlassenen ohne Abschluss wiesen die Stadtteile Wilhelmsburg, Veddel und Billstedt auf.« /111f/

Die durchschnittlichen Abiturnoten weisen ebenfalls eine deutliche Abhängigkeit von den sozialen Rahmenbedingungen der Schule auf. Zum einen sind die Noten an Gymnasien im Durchschnitt der letzten drei Jahre um bis zu 1,5 Notenpunkten besser als die an Stadtteilschulen; zum anderen liegen die Noten sowohl an Stadtteilschulen als auch an Gymnasien in besseren Lagen signifikant über denen an den Schulen mit hoher sozialer Belastung.

An den beruflichen Schulen ist die Schülerzahl in den letzten Jahren gesunken. Das ist zum einen auf steigende Abiturientenquoten und damit verbunden steigende Studierendenzahlen zurückzuführen, zum anderen auf die Einführung des zehnten Schuljahrs an den allgemeinbildenden Schulen, die Abschaffung von berufsbildenden Schulformen und den Rückgang der Jugendlichen im Übergangssystem (Warteschleifen).

Die grundlegende soziale Schieflage zeigt sich auch im Berufsschulbereich: Ausländische Jugendliche [3] haben nur einen Anteil von 10% an den Jugendlichen, die eine Berufsausbildung im dualen System machen, stecken aber zu 35% in den Warteschleifen des Übergangssystems.

Der Trend zu immer mehr Auszubildenden aus Hamburg und dem Umland mit Abitur verdrängt Jugendliche ohne Abitur. So kommt es, dass nur 18% aller Hamburger Schulentlassenen des Schuljahrs 2012/13 eine duale Ausbildung beginnen.

Der Bildungsbericht 2014 ist ein Dokument der sozialen Spaltung in der Bildung. Die Autor_innen konstatieren: »Soziale Disparitäten werden im Laufe der Schulzeit kaum gemildert.« /11/ Und: »In Hamburg ist die Region die entscheidende Größe bei der Betrachtung von unterschiedlichen Voraussetzungen und Chancen zu Bildung und Teilhabe. In der Folge verstärken sich institutionelle Unterschiede, weil davon auszugehen ist, dass die regionale konzentrierte Häufung individueller Problemlagen zu einer institutionellen Konstellation führt, die Effekte der Benachteiligung im Sinne von Kompositionseffekten eher verstärkt als kompensiert.« /10/

Viel stärker als bisher muss den regionalen Unterschieden, der sozialen Spaltung der Stadt im Bildungswesen Rechnung getragen werden.[4] Die ungleichen Bildungschancen und ihre Bekämpfung müssen in den Mittelpunkt der Bildungspolitik gerückt werden, dafür ist dieser Bildungsbericht ein Beleg.

Hoffnungsschimmer bieten allein die Hinweise darauf, dass eine generell höhere Bildungsbeteiligung – also Ausbau der Krippenplätze, höhere Abiturquoten – auch der Risikogruppe der sozial Benachteiligten hilft.

[1] In Hamburg gibt es nach der Klasse 4 eine Empfehlung für den weiterführenden Schulbesuch seitens der Schule. Die Eltern können jedoch wählen, ob sie ihr Kind auf einer Stadtteilschule oder einem Gymnasium anmelden. Nach Klasse 6 entscheiden die Noten, ob das Kind auf dem Gymnasium bleibt oder auf eine Stadtteilschule wechseln muss.
[2] Zu berücksichtigen ist dabei, dass an allen weiterführenden Schulen – also Gymnasien und Stadtteilschulen – das Abitur erworben werden kann.
[3] Die Schulstatistik ist offenbar nicht in der Lage, Jugendliche mit Migrationshintergrund (die durchaus deutsche sein können) auch im beruflichen Bildungsbereich nachzuweisen und greift so auf die Kategorie der Ausländer zurück. Das sind selbstverständlich viel weniger Jugendliche als in der Kategorie der Jugendlichen mit Migrationshintergrund enthalten sind.
[4] Hierzu gehörte in den letzten Jahren die Senkung der Klassenfrequenzen an Grundschulen in sozial benachteiligten Stadtteilen, die bevorzugte Vergabe von Ressourcen zur Inklusion an Schulen in belasteten Stadtteilen und das Kita-Plus Programm für Kitas in schwierigen Lagen.

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