Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
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16. April 2015 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Rot-Grün: Olympia und Petersilienbegleitgrün

Erneut regiert Hamburg in den nächsten fünf Jahren eine rot-grüne Koalition. In der Hamburgischen Bürgerschaft durfte sich der alte und neue Bürgermeister Olaf Scholz bei den 75 auf ihn entfallenden Stimmen sogar über das positive Votum von drei Abgeordneten der bürgerlichen Opposition freuen.

Im Anschluss haben die Abgeordneten Scholz' Regierungsmannschaft als Ganzes abgesegnet. Insgesamt stimmten am Mittwoch 73 von 120 Abgeordneten für das vier Frauen und sieben Männer umfassende Kabinett.

Diese Absegnung der neuen Koalition durch die Bürgerschaft war wenig überraschend, nachdem die Landesparteitage von Rot und Grün das Bündnis inkl. Koalitionsvertrag mit großen Mehrheiten gebilligt hatten. Bei den Sozialdemokraten gab es dabei den aus den letzten Jahren bekannten Ablauf: Kurze Ansage des großen Vorsitzenden und anschließende ebenso knappe »Aussprache« des Parteitags. Ein bisschen Murren gab es wegen der miserablen Frauenquote im neuen Kabinett. Ein Gewerkschafter monierte, dass Tariferhöhungen im Koalitionsvertrag als »finanzielle Risiken« bezeichnet würden: »Wir sind doch die Partei der Arbeitnehmer. Solche Worte gehören nicht in einen Koalitionsvertrag.« Ein Staatsanwalt wies auf die Arbeitsbelastung der Anklagebehörde in Hamburg hin und forderte mehr Personal. Mehr Kontroverse war nicht. Der Koalitionsvertrag wurde dann mit dem aus den früheren sozialistischen Ländern bekannten Stimmergebnis von 99% gebilligt. Nur zwei der 309 Delegierten votierten dagegen, ein Sozialdemokrat enthielt sich der Stimme.

Bei den Grünen ging es – wenig überraschend – ein wenig kontroverser zu, weil Kernanliegen der Partei (Elbvertiefung, Stadtbahn, Umweltzone, Citymaut, Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen etc.) im Koalitionsvertrag reihenweise unter den Tisch gefallen sind. Die Bürgerschaftsabgeordnete Stefanie von Berg beklagte sich über den Bereich Schule: Dort seien die Grünen nicht einmal Sättigungsbeilage der SPD. »Wir sind Petersilienbegleitgrün.« Gleichwohl befürworteten am Ende der vierstündigen Debatte etwa zwei Drittel der Delegierten den Gang an die hanseatischen Hebel der Macht und  die staatlichen Futterkrippen.

Für den alten und neuen Bürgermeister fühlt sich die große Zustimmung zu Koalition und Vertrag natürlich »gut an«. »Das ist ein sehr schöner Auftrag, den die Bürgerschaft mir gegeben hat -– über die Parteigrenzen hinweg.« Scholz weiter: Der Koalitionsvertrag »ist eine solide Grundlage für die nächsten fünf Jahre. Man kann sicher sein, dass Hamburg auch in Zukunft gut regiert wird.« Scholz hat selbst eine klare »Zukunftsvorstellung«: Fünf Jahre »ordentlich regieren« mit Rot-Grün, um am Ende wieder mit absoluter Mehrheit regieren zu können. Mit wem an der Spitze? »Ich könnte mir sogar vorstellen, 2020 noch einmal zu kandidieren. Das Rentenalter hätte ich dann noch nicht erreicht.«

Das Rentenalter mag für die Fortsetzung der Karriere von König Olaf in ferner Zukunft kein Hinderungsgrund sein. Wir sehen andere gewichtigere Faktoren. Davor steht erstens die weitere ökonomisch-soziale Entwicklung (nicht nur) der Stadt in den nächsten Jahren, bei der die politischen Akteure optimistisch Kontinuität unterstellen. Zweitens zeichnet sich der Koalitionsvertrag des »Gut Regierens«  durch Ignoranz gegenüber den großen Gegenwarts- und Zukunftsproblemen der Stadt aus. Eine Vorstellung auch nur über ein Hamburg 2020 als Leitfaden rot-grüner Politik sucht man darin vergebens.

Nicht zufällig ist denn auch vor dem Hintergrund der bloßen Mängelverwaltung das Projekt Olympia das einzige Highlight, das die neue rot-grünen Landesregierung den BürgerInnen anzubieten hat. »Hamburg ist eine sehr optimistische, der Zukunft zugewandte Stadt. Das zeigt sich in allem – etwa der Wirtschaftskraft oder der wachsenden Bevölkerung. Wir wollen gemeinsam diese optimistische Grundeinstellung aufgreifen und dafür sorgen, dass sich Hamburg gut fortentwickeln kann. Das hat viele Konsequenzen. Ein großes Projekt, das diesen optimistischen Geist atmet, ist sicherlich die Olympia-Bewerbung. Wenn alles gut geht, werden wir an einer zentralen Stelle in der Stadt, auf dem Kleinen Grasbrook, einen neuen Stadtteil bauen.«

Einmal abgesehen davon, dass noch völlig unklar ist, was Olympia für den Breitensport und den unter dem Regime der Schuldenbremse stehenden Haushalt bedeutet, fehlt uns der »optimistische Geist« schon heute an vielen aktuellen Baustellen der Stadt.

1.Keine erkennbaren Probleme bei dem Wirtschaftspotenzial?

Die Zusammenschau von wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Entwicklung ist in Hamburg schon in der Vergangenheit nicht aufgegriffen worden. Die Hafenwirtschaft (Umschlag, Logistik, hafennahe Wertschöpfung und Dienstleistungen) weist trotz angestrebter Elbvertiefung schon heute erkennbare Probleme auf. Der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur ist defizitär wie in der gesamten Republik. Mit dem Wachstum der Flugzeugindustrie werden diese Schwächen nicht kompensiert werden können. Für die Entwicklung der urbanen Dienstleistungen (Lifescience, Wissenschaft,) gibt es kaum Vorstellungen.

Konkret: Pünktlich zur Regierungsbildung erscheint eine Studie mit der These: Der Verkehr im Großraum Hamburg steht in fünf Jahren vor dem Kollaps. Sicher übertrieben. Aber: Wächst der Hafenumschlag nur um 4,1% pro Jahr, wird der LKW-Verkehr massiv zunehmen  Der Schienengüterverkehr ist schon jetzt eher an der Kapazitätsgrenze. Das Verkehrsnetz im Großraum Hamburg steht auch abgesehen vom Hafen vor einer wachsenden Herausforderung: Werktags strömen rund 320.000 PendlerInnen in die Stadt, zu 45% mit dem Pkw, weitere 100.000 pendeln täglich ins Umland. Das sorgt für große »Belastungsspitzen« morgens und abends, gegen die die Stadt selbst mit ausgebauten Autobahnen nicht ankommen kann.

2.Wachsende Bevölkerung, fehlende Wohnungen, prekärer Arbeitsmarkt

Ja, Hamburg kann sich auf deutliche Zuwanderung – auch abgesehen von dem wachsenden Flüchtlingsstrom – stützen. Leider wachsen mit der Bevölkerung weder Wohnungen noch die öffentliche Infrastruktur. Die deutliche Schattenseite ist, dass der Bedarf an Wohnungen für einkommensschwache Haushalte größer ist als die 2.000 Wohnungen, die für dieses Klientel jährlich gebaut werden. Es fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung raus als man mit den 2.000 neuen kompensieren kann.

Der Senat räumt in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken ein, dass schon im Jahr 2012 rund 367.000 Haushalte der Stadt Anspruch auf eine Sozialwohnung hatten, der Bestand aber nur 96.854 Wohnungen betrug. Dass die im Koalitionsvertrag versprochene bloße Fortsetzung der bisherigen Politik (mit neu: einem runden Tisch) diese Probleme nicht löst, sondern ihre Verschärfung billigend in Kauf nimmt, weiß jeder, der die Grundrechenarten beherrscht: Wenn in den nächsten 10 Jahren jährlich 4.500 Wohnungen aus der Preisbindung fallen und 2.000 neue preiswerte Wohnungen gebaut werden, fehlen allein über diesen Prozess dann noch einmal 25.000 Wohnungen. Weil fast die Hälfte der Haushalte sozialwohnungsberechtigt ist, ist hier eine Perspektive notwendig.

Auf der anderen Seite fragt man sich, wie weit das heutige Engagement im sozialen Wohnungsbau reicht, wenn die Mieten in diesem Segment nur eine 15-jährige Bindung haben. Diese Zeit ist sehr schnell vorbei und am Ende profitiert vor allem der Investor, der die Wohnungen dann meistbietend vermieten oder verkaufen kann, weil der Markt heiß ist. Hinzu kommt das Problem des Arbeitsmarkts, auf dem Niedriglöhne, Mehrfach- und Teilzeitbeschäftigungen dominieren, die steigende Mietkosten kaum abdecken.

Da bezeichnet der Vorsitzende des Mietervereins, Eckard Pahlke, die Tatsache, dass in den kommenden zehn Jahren bei etwa der Hälfte der noch existierenden 90.000 Sozialwohnungen die Mitpreisbindung endet als »eine Katastrophe«. »Gemessen an den 70er-Jahren, als Hamburg fast 400.000 Sozialwohnungen hatte, ist der Bestand zu gering.« Zumal er sich weiter dezimiere, denn die Zahl der bedürftigen Einwohner nehme im Gegensatz zur Zahl der Sozialwohnungen seit Jahren nicht ab. »Ich halte das für einen Skandal«, so Pahlke.

Auch der Arbeitsmarkt weist deutliche Defizite auf: prekäre Beschäftigung und chronische Dauerarbeitslosigkeit. Das verschärft die Einkommensungleichheit: Niedriglöhne, Mehrfach- und Teilzeitbeschäftigungen dominieren und der Lebensunterhalt wird schwieriger , vor allem, weil die steigende Mietkosten kaum erarbeitet werden können.

3. Soziale Spaltung und Armut

Es gibt eine Zunahme von Armut trotz des wachsenden Reichtums. Es bilden sich seit längerem benachteiligte Stadtquartiere oder Armutsinseln aus: Billstedt, Bereiche in Wilhelmsburg und der Osdorfer Born sind Stadtteile, die mit vielen sozialen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Man muss sich nur die Statistiken zur Arbeitslosigkeit, zum SGB-II-Bezug, fehlenden Schulabschlüssen und niedriger Wahlbeteiligung anschauen. Enorme Problem gibt es vor allem bei der wachsenden Schar von Altersarmen, d.h. RentnerInnen ohne ausreichende Erwerbszeiten, Verwitweten, bei Alleinerziehenden und kinderreichen Familien, vor allem denjenigen mit Migrationshintergrund.

Diese (keineswegs vollständige) Problempalette soll mit einem starren Finanzregime bewältigt werden. Ein Finanzrahmengesetz gibt die Obergrenze für den bereinigten Finanzmittelbedarf als Saldo aus allen Einnahmen – ohne Steuereinnahmen – und Ausgaben vor. Das Ausgabenwachstum bleibt – wie in der letzten Periode – unter einem jährlichen Zuwachs von 1 Prozent und der Personalbestand wird weiter um jährlich 250 Vollzeitkräfte reduziert. Damit bleiben uns erhalten: der anhaltende Substanzverlust in der öffentlichen Infrastruktur, die Verminderung des Personals im öffentlichen Dienst und die restriktive Ausgabenpolitik vor allem für den Arbeitsmarkt, die Armutsbekämpfung und die Sozialausgaben.

Spielraum soll von den Zinsersparnissen in der kommenden Legislaturperiode von insgesamt rund 100 Mio. Euro. kommen. Denn die Stadt muss für ihren Schuldenberg von ca. 24 Mrd. Euro vermutlich weniger zahlen. Hiervon werden 40 Mio. Euro zur Finanzierung von Maßnahmen im Bereich Wissenschaft und Forschung, 30 Mio. Euro zur Finanzierung von Maßnahmen im Bereich Umwelt und Klimaschutz und 30 Mio. Euro für übrige prioritäre Maßnahmen verwendet. Außerdem – so muss man mitdenken – soll hiervon noch der weitere Substanzverlust bei der HSH Nordbank und der anstehende Normalbetrieb der Elbphilharmonie mit finanziert werden. Zudem will der Senat  – sollte der Zuschlag für Olympia kommen – einen jährlicher Betrag für die von der Stadt aufzubringenden Kosten zurücklegen. Wie dieses Rechenkunststück gelingen kann, bleibt das Geheimnis der frisch gebackenen Koalitionäre. So bieten sich uns glorreiche Perspektiven auf fünf Jahre »gutes Regieren«.

»Petersilienbegleitgrün« ist der treffende Ausdruck für diese Mängelverwaltung. Das Konzept kann nur aufgehen, wenn die Wirtschaft und die Konjunktur mitspielen. Es wird also wachsende Gelegenheiten geben, diese Konzeption zu kritisieren.

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