Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

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33 Stätten der Erinnerung und Mahnung | Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft – Geschichtswerkstatt e.V.
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11. Mai 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Neue Schuldenregel in der Hamburger Verfassung

Von 2020 an darf auch der Stadtstaat Hamburg nur in eng umrissenen Ausnahmefällen neue Kredite zur Finanzierung von öffentlichen Aufgaben aufnehmen. Zusätzliche Kredite müssen dann nach einer feststehenden Zeitregel zurückgezahlt werden. Diese Festlegung ergibt sich aus einer Ergänzung des Grundgesetzes, denn im Jahr 2009 wurde die »Schuldenbremse« sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit gebilligt.

Warum haben gleichwohl einige Bundesländer diese Festlegung in ihre Länderverfassungen übernommen? Letztlich macht die zusätzliche Verankerung in der Länderverfassung wenig Sinn; die bestehenden Regelungen zur Kreditaufnahme, an die sich die politischen Mehrheiten nur in Ausnahmefällen gehalten haben, werden durch die mit dem Grundgesetz konforme Bestimmungen ersetzt. Logischerweise können die Bundesländer auch schon vor dem Jahr 2020 auf neue Kredite verzichten, soweit sie ihre öffentlichen Finanzen im Griff haben. Aber symbolische Operationen erhalten in der Politik immer größeres Gewicht, obgleich sich für die Praxis wenig daraus ergibt.

In seltener Einigkeit brachten die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, FDP und Grünen Anfang Mai eine Verfassungsänderung auf den Weg, die Ende des Monats in einer zweiten Lesung beschlossen werden soll. Wie schon im Grundgesetz festgelegt, dürfen ab 2020 nur noch in Krisen- und Katastrophenfällen neue Schulden gemacht werden – sofern wiederum eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten zustimmt. Eine weitere Ausnahme: In konjunkturell schwierigen Phasen darf die Stadt neue Kredite aufnehmen, wenn diese in Boomjahren wieder getilgt werden.

Schon jetzt gilt für Hamburg wie die anderen Bundesländer ein striktes Schuldenregime. Das Bundesland Hamburg ist zu einem kontinuierlichen und möglichst gleichmäßigem Schuldenabbau sowie zu einer Reduzierung der Nettokreditaufnahme verpflichtet. Gleichzeitig werden über ein Finanzplanrahmengesetz feste Ausgabenobergrenzen für die kommenden Jahre festgelegt. Für Hamburg heißt dies konkret: Die Ausgaben dürften bis 2020 nur jährlich um 0,88% anwachsen. Wenn über gesetzliche Regelungen oder die Tarifendgelte ein höherer Zuwachs programmiert ist, müssen diese höheren Ausgaben in anderen Bereichen durch härtere Kürzungen ausgeglichen werden.

Diese neuen Konditionen für öffentliche Kredite sollen durch den europäischen Fiskalpakt weiter verschärft werden. Im Fiskalpakt ist eine europäische Schuldenbremse vorgesehen, die auch Bund, Länder, Kommunen und die Sozialversicherungen betrifft. Bisher ist allerdings nicht genau festgelegt, wie die Sparbelastungen verteilt werden sollen und wer bei Nichteinhaltung haftet. Die EU-Kommission hat dazu einen Vorschlag angekündigt. In dem Gesetz zur Umsetzung in bundesdeutsches Recht sind die Regelungen für Länder und Gemeinden auch offen. Daher wird die Verabschiedung mit Zweidrittelmehrheit voraussichtlich nicht ohne deutliche Verbesserung des Gesetzes zustande kommen. SPD und Grüne fordern als Ergänzung zum Fiskalvertrag für mehr Haushaltsdisziplin klare Aussagen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer, einem Wachstumspaket sowie zum Umfang der erforderlichen Begleitgesetze. Auf europäischer Ebene geht es also im höhere Einnahmen und stabiles Wirtschaftswachstum – all dies soll auf Ebene der Bundesländer keine Rolle spielen.

Trotz wirtschaftlicher Eintrübung (Rückgang der wirtschaftlichen Leistung im IV. Quartal 2011) ist die Beschäftigungs- und Einkommensentwicklung in Deutschland – anders als in den meisten anderen europäischen Ländern – immer noch positiv. Deshalb können Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr und in den Folgejahren lt. der aktuellen Steuerschätzung mit – im Vergleich zur November-Schätzung – moderaten Steuermehreinnahmen rechnen. Für 2012/2013 addiert sich dieses Steuerplus auf 9,6 Mrd. Euro – vorausgesetzt allerdings die Euro-Krise bleibt politisch beherrschbar und die Konjunktur im Rahmen der unterstellten Zuwachsraten (2012: real 0,7%; 2013: real 1,6%)

Die Bundesregierung nutzt diese positiven Umstände, um die Bundesländer zu noch mehr Haushaltsdisziplin anzuhalten. Nach Zeitungsberichten plant sie eine Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, mit der die Vorgaben des in Deutschland noch nicht verabschiedeten europäischen Fiskalpakts auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollen. Dieser Fiskalpakt setzt der Haushaltspolitik noch stärkere Grenzen als die Regeln der grundgesetzlich festgeschriebenen »Schuldenbremse«. Sie verpflichtet die europäischen Länder zur Einhaltung einer Obergrenze bei der Neuverschuldung von 0,5% des jeweiligen BIP. Darüber hinaus sollen die Länder, deren Verschuldung über 60% des BIP liegt, diese jährlich um ein Zwanzigstel, also 5%, zurückzufahren.

Bisher war es den Ländern, die keine Entschuldungshilfen erhalten, weitgehend freigestellt, wie sie Ende des Jahrzehnts die strenge Vorgabe aus dem Grundgesetz einhalten wollen. Mit der Umsetzung des Fiskalpakts soll damit Schluss sein. So will die Bundesregierung Bund und Länder darauf verpflichten, für die Haushaltsjahre ab 2014 an Obergrenzen für die strukturelle Nettokreditaufnahme gesetzlich festzulegen und eine jährliche Rückführung der Nettokreditaufnahme in gleichmäßigen Schritten sicherzustellen. Darüber hinaus will die Bundesregierung die Bundesländer stärker an möglichen Sanktionszahlungen bei Überschreiten der 0,5%-Grenze beim Defizit im Staatshaushalt beteiligen. Danach teilen sich Bund und Länder die EU-Sanktionen im Verhältnis 65 zu 35.

Zusammengefasst: Die neuen Schuldenregeln sind ein enges Korsett für die Ausgabenpolitik auch der Bundesländer. Eine Verbesserung der Einnahmesituation ist nicht geregelt, sondern die Sanierung der öffentlichen Finanzen soll durch Kürzungen bei den Ausgaben erzwungen werden. Logischerweise sind von dieser Kürzungslogik besonders die Ausgaben für Sozialleistungen betroffen. Die Tendenz zu einem Mager-Staat wird als Finanzregelung kaschiert und die Konsequenzen für die Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten bleiben völlig offen.

In der praktischen Umsetzung hat die Bundesrepublik wegen der relativ günstigen Wirtschaftsentwicklung einen klaren Vorteil. Bund, Länder und Gemeinden können höhere Einnahmen erwarten, was die Einhaltung der Schuldenregeln leichter macht. Für die Bundesländer ergibt sich in 2012/2013 ein Steuerplus von 2,9 Mrd. Euro. Auch Hamburg darf damit in diesem und im nächsten Jahr mit einigen hundert Mio. Euro Steuermehreinnahmen rechnen. Da die städtischen Einnahmen damit stärker steigen, könnte von der Ausgabendeckelung von 0,88%, die sich der SPD-Senat selbst auferlegt hat, um die Vorgaben der »Schuldenbremse« Rechnung zu tragen, entsprechend abgewichen werden. Dies böte die Möglichkeit z.B. auf einige schon jetzt bekannt gewordene Kürzungen im Doppelhaushalt 2013/2014, den der Senat im Juni vorlegen will, zu verzichten.

So will der Senat beispielsweise 2 Mio. Euro bei der Rudolf-Ballin-Stiftung einsparen. Sie bekommt insgesamt 3,3 Mio. Euro von der Stadt für den Betrieb ihrer beiden Einrichtungen in Wyk auf Föhr und in Timmendorfer Strand. Unter dem Namen »Früh einsetzende entwicklungsfördernde Hilfen« (Feeh) werden dort Kinder für vier Wochen aufgenommen, die aus besonders belasteten Familien kommen und eine Auszeit von ihrem Umfeld brauchen. Viele weisen Verhaltensauffälligkeiten auf, andere sind in ihrer Entwicklung verzögert. Rund 920 Kinder und Jugendliche besuchen die beiden Häuser in jedem Jahr. Bei einer Einsparung von zwei Millionen Euro müsste das Haus auf Föhr aufgegeben werden, heißt es von der Stiftung.

Dass der Senat überhaupt in Erwägung zieht, ausgerechnet bei den Ärmsten der Armen den Sparhebel anzusetzen, ist das bekannte Handlungsmuster einer neoliberalen Version sozialdemokratischer Politik. Auch in vielen anderen Bereichen soll die Sanierung der öffentlichen Finanzen durch Kürzungen erzwungen werden. Diese Einseitigkeit ließe sich angesichts der Steuermehreinnahmen korrigieren.Darüber hinaus könnten Einnahmeverbesserungen auf den Weg gebracht werden, denn für die europäische Ebene besteht die SPD ja auch auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und eine Stützung der Konjunktur.

In Hamburg gelten die europäischen Bedenken nicht. Vermutlich wird der Finanzsenator bei der Bekanntgabe der Steuerschätzungsergebnisse für Hamburg vor die Presse treten und unbeirrt daran festhalten, dass bei Personalkosten und öffentlichen Dienstleistungen gekürzt und Mehreinnahmen für »unerwartete« Ausgaben (wie beim Sondervermögen Hafen und Stadt) oder den Abbau der Verschuldung verwendet werden müssen.

Wir halten demgegenüber daran fest, dass der Senat Hamburg mit seiner Haushaltskonsolidierungspolitik in die falsche Richtung steuert – nicht nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit (siehe Kinderkuren). Die nun spätestens seit dem Sieg des Sozialisten Hollande in Frankreich auf europäischer Ebene geführte Diskussion, dass Sparen allein in den Abgrund führt und mindestens um Wachstumskomponenten ergänzt werden muss, hat ihre Gültigkeit auch für Hamburg.

Im Prinzip wissen auch die Hamburger SPD und Bürgermeister Scholz, dass die Sanierung der öffentlichen Finanzen über die neue Schuldenregelung nicht zu haben ist. Das Ziel bis 2020 einen ausgeglichen Haushalt zu erreichen, geht faktisch nur um den Preis, den öffentlichen Dienst zu schrumpfen und die Beschäftigten schlechter zu bezahlen, sowie wichtige, eigentlich unverzichtbaren soziale und öffentliche Leistungen zu beschneiden. Mit dem europäischen Fiskalpakt wird diese Logik noch verschärft. SPD und Hamburger Senat wären deshalb gut beraten, ihn in der vorliegenden Form abzulehnen.

Klüger wäre es auf das (unsoziale) Sparen zu verzichten, und den Haushaltsausgleich und die Schuldentilgung über eine deutliche Erhöhung der Einnahmen zu suchen. Ein solcher Perspektivwechsel erlaubte dann auch – vorübergehend kreditfinanzierte – Investitionen für den dringend notwendigen Umbau der Hamburger Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Die auch von der Hamburger SPD unterstützte Initiative für eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ist  ein Schritt in die richtige Richtung. Würde der SPD-Senat dann noch seine Laissez faire-Haltung in Sachen Steuervollzug aufgeben, könnten weitere Ressourcen zu einer Verbesserung der Haushaltssituation erreicht werden.

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