Der rechte Rand

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9. November 2016 Joachim Bischoff und Bernhard Müller

Flüchtlinge in der Hansestadt – eine Zwischenbilanz

Die Zahl der Flüchtlinge, die in Hamburg Schutz suchen, ist weiterhin rückläufig. Im Oktober wurden 823 Flüchtlinge in Hamburg aufgenommen, 34 weniger als im September. 420 blieben in Hamburg, 403 wurden auf andere Bundesländer verteilt. Von den 420 mussten 278 in einer öffentlichen Unterkunft untergebracht werden. Das ist die niedrigste Zahl seit Beginn des Jahres. Insgesamt kamen in diesem Jahr bis Oktober 14.352 Flüchtlinge nach Hamburg.

Die Gründe für das Abebben der Bewegung: Zunächst sind die früheren Routen durch Zäune, Kontrollen und andere Maßnahmen blockiert worden. Zweitens werden die großen Flüchtlingslager in den Kriegsgebieten und staatenlosen Zonen besser mit Hilfslieferungen versorgt. Und drittens sind die Hindernisse und Gefahren bei einer ungeregelten Migration deutlich gestiegen.
Hier im Lande, also auch in Hamburg, müssen die Maßnahmen und Hilfsangebote – auch die ehrenamtlich betriebenen – überprüft und auf die neue Situation ausgerichtet werden. Dies gilt auch für den Staat. Gut ein Jahr nach Beginn der Flüchtlingskrise gehen die  Hamburger Behörden daran, alle Projekte zu evaluieren und auch die Ausgaben für Flüchtlinge zu kontrollieren. Im Bürokraten-Slang: »Hinsichtlich jeder einzelnen Erstaufnahmeeinrichtung wurden inzwischen Maßnahmen ergriffen, um die Transparenz, Vergleichbarkeit und ein lückenloses Controlling der Kosten besser zu gewährleisten.«

Ende des Kontrollverlustes

Angesichts deutlich gesunkener Flüchtlingszahlen nach Europa, Deutschland und Hamburg hat der Stadtstaat seine Planungen für Unterkünfte kräftig zusammengestrichen. Bislang wollte die Stadt allein in diesem Jahr 40.000 neue Plätze schaffen. Nun soll es bis Ende 2017 nur noch neue 29.700 Plätze geben. Davon entfallen 25.200 auf Folgeunterkünfte und 4.500 Plätze auf Erstaufnahmen.

Der Zentrale Koordinierungsstab Flüchtlinge geht jetzt davon aus, dass 2016 mit rund 14.500 Schutzsuchenden zu rechnen ist, die in Hamburg untergebracht werden müssen. Auf Basis der IST-Zahlen per Ende September werden es vermutlich jedoch »nur« etwa 10.000 sein. Für 2017 wird die Zahl der Schutzsuchenden auf 15.500 geschätzt. Ende 2017 würden dann 48.000 Schutzsuchende in städtischen Unterkünften der Hansestadt leben.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Zahl der Schutzsuchenden in Hamburg. Auch in Hamburg hat in den letzten Monaten die Bewegung der Flüchtlinge deutlich abgenommen.

So wurden im September in Hamburg 857 AsylbewerberInnen in das bundesweite Verteilungsverfahren aufgenommen, davon verblieben 368 Schutzsuchende in der Hansestadt. 489 Personen wurden nach dem Königsteiner Schlüssel in andere Bundesländer verteilt. Von den 368 Hamburg zugewiesenen Personen machten 343 einen Unterbringungsbedarf geltend. Erfassungsrückstände gibt es laut Behördenangaben nicht. Zuletzt kamen laut Einwohnerzentralamt im Dezember 2014 ähnlich wenige Schutzsuchende neu in die Stadt.

Insgesamt kamen in diesem Jahr bis Ende September 13.529 Zufluchtsuchende nach Hamburg, von denen 8.050 in Hamburg geblieben sind. 6.745 benötigten eine öffentliche Unterkunft. Das waren deutlich weniger Schutzsuchende als im Vorjahreszeitrum, als 35.021 Schutzsuchende in Hamburg registriert wurden, von denen 13.179 in Hamburg Aufnahme fanden und 12.111 eine öffentliche Unterkunft benötigten. Und der Trend ist eindeutig: Seit März liegen die Zahlen unter denen des Vorjahres.


 

Per Ende September lebten damit insgesamt 51.588 Schutzsuchende in Hamburg. Das waren etwa 11.600 mehr als Ende Dezember 2015. Von ihnen kamen 15.467 BürgerInnen aus Afghanistan, 9.472 aus Syrien, 4.093 aus dem Iran, 3.333 aus dem Irak und 3.775  aus den sog. Balkanländern (Albanien, Bosnien Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Montenegro).

In der zweiten Jahreshälfte 2015, den Höhepunkten der Fluchtbewegung, sind die ankommenden Menschen nur grundsätzlich erfasst worden, aber eine Registrierung für das Asylverfahren fand vielfach nicht statt. Das zuständige Bundesamt versucht seither mit zusätzlichem Personal und neuen Koordinierungsstellen, den Rückstau zu schließen. Bis zum Herbst sollen alle in Deutschland untergebrachten Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt haben.


Der deutliche Anstieg der Zahl der Zufluchtsuchenden in 2015 hat logischerweise zu einem deutlichen Anstieg der EmpfängerInnen von Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geführt. So bezogen am Jahresende 2015 in Hamburg fast 23.100 Personen Regelleistungen zur Deckung ihres laufenden Lebensunterhalts. Das waren 88% mehr als ein Jahr zuvor. Knapp zwei Drittel der unterstützten Asylsuchenden, Bürgerkriegsflüchtlinge und vollziehbar zur Ausreise verpflichteten Personen stammten aus Asien (ohne Türkei und Russland); allein aus Afghanistan kamen 26% und aus Syrien 23% aller HilfebezieherInnen. Personen aus Europa (einschließlich Türkei und Russland) stellten 22% und Personen aus Afrika 10% der Unterstützten. Im Vergleich zu 2014 stieg die Zahl der aus europäischen Ländern kommenden LeistungsbezieherInnen um 22% Für Afrika errechnet sich ein Zuwachs von 35%, für Asien eine Steigerung um 162%.

 

Unterbringung

In der Zentralen Erstaufnahme waren per Ende September 9.679 Menschen untergebracht, in öffentlich-rechtlicher Unterbringung 22.777 (davon Wohnungslose: 3.251). Ende 2015 waren noch 18.883 in der ZEA untergebracht, in öffentlich-rechtlicher Unterbringung 16.241 (davon 2.852 Wohnungslose). Seit Jahresbeginn wurden 7.084 Plätze in Folgeunterkünften geschaffen.

Der deutliche Rückgang der Zahl der neu Zufluchtsuchenden schlägt sich nieder in der Unterauslastung der 40 Standorte der Erstaufnahme. Von den etwa 13.870 belegbaren Plätzen wurden Ende nur etwa 10.000 in Anspruch genommen. Dass gleichwohl noch 2.037 Menschen in Zelten (204) und Gewerbehallen untergebracht sind, ist ein Skandal. Hinzu kommt, dass immer noch ca. 7.600 Personen in der ZEA untergebracht sind, die dort schon länger als sechs Monate ausharren müssen. Also mit dem Ende des staatlichen Kontrollverlustes ist es noch nicht weit her.

Politisches Verwirrspiel um die Schutzsuchenden

Angesichts sinkender Flüchtlingszahlen hat der SPD-Senat vor einigen Monaten seine Planungen korrigiert. Statt 80.000 neuen Plätzen in 2016 und 2017 sollen bis Ende 2017 nur noch 29.700 Plätze neu geschaffen werden. Ende 2017 würden demnach 48.000 Schutzsuchende in städtischen Unterkünften der Hansestadt leben. In der Pressemitteilung der Zentralen Koordinierungsstelle vom 7. Oktober ist von 37.533 Plätzen die Rede. Hinzu kommen noch einmal 17.349 Plätze in Planung. Addiert man das, kommt man auf ca. 55.000 Plätze für Schutzsuchende.

Bei der Einschätzung der Belastungen des Landeshaushalts betreibt der SPD-Senat ein Verwirrspiel (wie beim Haushalt insgesamt). Bis heute hat er eine Abrechnung der Kosten für die Schutzsuchenden (Asylbewerberleistungsgesetz, Kosten der Unterkunft und der Integration) in 2015 verweigert. Bekanntlich wurde der entsprechende Etatposten für 2015 und 2016 auf jeweils 600 Mio. Euro aufgestockt. Man kann manchmal auch den Eindruck haben, dass der politische Apparat selbst nicht den kompletten Durchblick hat.

Der Senat hat erklärt, dass die für 2016 eingeplanten Mittel von 600 Mio. Euro nicht auskömmlich sein könnten.(1) Die Kosten für Unterbringung und Integration der Flüchtlinge würden deutlich höher ausfallen als 2015, weil seinerzeit die Flüchtlingszahlen erst gegen Jahresende stark angestiegen sind. 2016 seien die Flüchtlinge, deren Zahl trotz der nachlassenden Zuwanderung weiter zunimmt, das ganze Jahr in der Stadt.

Das ist zwar richtig, gleichzeitig hatte der Senat aber zu Jahresbeginn eine wesentlich höhere Zahl an Flüchtlingen und auch den Bau einer entsprechend größeren Zahl an Unterkünften unterstellt. Angesichts der deutlich gesunkenen Zahl der Flüchtlinge und der Zurücknahme der geplanten Unterkunftsplätze um mehr als 50% ergeben sich logischerweise finanzielle Spielräume, die der Senat allerdings nicht ausweisen will. Hinzu kommt, dass Hamburg erhebliche finanzielle Mittel vom Bund für die Bewältigung der Flüchtlingskosten erhält.


 

Statt einer konkreten Zwischenabrechnung für 2016 und dem Ausweis, womit der Senat in 2017 und 2018 genau rechnet, wird bei den Rahmendaten für den Doppelhaushalt 2017/2018 nur sybillinisch auf »Mehrbedarfe durch Zuwanderung« hingewiesen, für die im Etat des Finanzsenators »zentrale Verstärkungsmittel« vorgehalten werden sollen. Wieviel in 2017 und 2018 jeweils an Zuwanderungskosten eingerechnet sind, darüber verweigert der Senat hartnäckig jede Auskunft. So bleibt nur der mühselige Weg einer Überschlagsrechnung als Addition der Gelder für die Flüchtlingshilfe in den Etats der verschiedenen Behörden, die aber zwangsläufig nicht vollständig sein kann.

a) Verfügungsmittel beim Finanzsenator

b)  In den Einzelplänen (Schule und Berufsbildung, Arbeit, Soziales Familie und Integration sowie Inneres und Sport) bildet sich der erhöhte Bedarf in der Planung nicht ab. Er wird im Laufe auch des jeweiligen Haushaltsjahres (gilt auch für 2016) vom Einzelplan 9.1. auf die Pläne der betroffenen Behörden umgebucht.
Die Planzahlen für die BASFI und die Behörde für Inneres sehen z.B. so aus:

Weitere Teile verstecken sich in »Regelsystemen« also etwa den Etats der Sozialbehörde für Kitas oder der Schulbehörde für Vorbereitungs- und Integrationsklassen, wo sich der Senat weigert abzugrenzen, welcher Teil der Summe auf die Flüchtlinge entfällt.

Addiert man die genannten Positionen, die eben nicht alle Kosten erfassen (z.B. Bildungskosten, aber auch Investitionen), zeigen sich die Größenordnungen.



Unterm Strich kann man davon ausgehen, dass wegen der deutlich rückläufigen Flüchtlingszahlen und der verstärkten finanziellen Unterstützung durch den Bund sich schon in 2016, dann aber vor allem in 2017 und 2018 erhebliche finanzielle Spielräume ergeben, die für bessere Integration der Flüchtlinge, die Bekämpfung der sozialen Spaltung in der Stadt und den Bau von mehr preisgünstigen Wohnungen verwendet werden könnten.

Grundsätzlich setzt die rot-grüne Koalition in Hamburg darauf, Flüchtlingen das Erlernen der deutschen Sprache zu ermöglichen und eine Berufsausbildung anzubieten. »Vermittlung in Fachkräftetätigkeit und diesbezügliche Anerkennung, Ausbildung und Qualifizierung ist vorrangiges Ziel.« Nüchtern betrachtet sind in dieser Grundausstattung zur Integration auch enorme Defizite vorhanden. Nicht einmal die Sprachförderung ist auf einem Niveau eines entwickelten europäischen Landes. Die Übergänge in Ausbildung und berufliche Praktika haben gerade erst begonnen. Wichtig ist daher die Förderung von niedrigschwelligen Integrationsmöglichkeiten, um der nervige Warterei in den Flüchtlingsunterkünften wenigstens für einige Stunden in der Woche entfliehen zu können.

Die Hansestadt hält sich zur Bewältigung des Umgangs mit zuletzt rund 51.000 Flüchtlingen einen Flüchtlingskoordinator. Gemessen an den vielfältigen Fehlentwicklungen und Defiziten ist die Wirksamkeit dieses Koordinators nicht überzeugend. Es ließe sich in vielen Punkten eine Verbesserung der Lebensverhältnisse – angefangen von der Unterbringung – erreichen. Am Geld liegt es in diesem Fall mit Sicherheit nicht.

Aber es soll besser werden: Die Kosten der Hilfen für Zufluchtsuchende sollen erfasst und fortgeschrieben und um weitere Punkte wie Personalkosten, Mietkosten oder Instandsetzungskosten ergänzt werden. »Das Ziel ist es, diese Daten bis Ende des Jahres für alle Standorte der Hilfsorganisationen zu erfassen.« Dann gibt es auch eine Grundlage für die Kontrolle des staatlichen Handelns und der Defizite.

(1)  Dazu hat der Senat jetzt einen Nachtragshaushalt über insgesamt 310 Mio. Euro eingebracht, von dem 220 Mio. Euro auf die Flüchtlingshilfe und 90 Mio. Euro für Kitas und andere gesetzliche Leistungen entfallen sollen. Gleichzeitig steuert der Bund 124 Mio. Euro zu den Flüchtlingsbedingten Mehrkosten bei. Damit stiegen die Ausgaben der Stadt auf mehr als 800 Mio. Euro, abzgl. der Bundeserstattungen wären das etwa 700 Mio. Euro. Allerdings erklärt der Senat, dass noch nicht feststehe, ob das Geld tatsächlich auch zur Gänze ausgegeben werde. Damit wird das Verwirrspiel um den Haushalt nicht nur in Sachen Flüchtlingspolitik weiter fortgesetzt. Statt einer ordentlichen Abrechnung, aus der abgelesen werden kann, wieviel Geld für Unterkunft, Versorgung und Integration der Zufluchtsuchenden 2015 und bis Oktober diesen Jahres ausgegeben worden ist und in den letzten beiden Monaten des Jahres vorrausichtlich noch ausgegeben werden wird, werden Nebelkerzen geworfen. Eine ordentliche Haushaltsführung sieht anders aus.

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