Der rechte Rand

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31. Juli 2015 Joachim Bischoff und Bernhard Müller

Das Flüchtlings-Problem wird uns Jahre beschäftigen

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist politischer Pragmatiker und hat sich der »Good Governance«, dem »vernünftigen Regieren«, verschrieben. Aber was heißt angesichts der größten Flüchtlingsbewegung nach dem zweiten Weltkrieg von rund 60 Mio. Menschen – ein kleiner Teil dieser Fliehenden strebt nach Europa und in die Bundesrepublik Deutschland – kluges Regieren und Verwalten?

Hamburg hat erkennbar Probleme die Verwaltung in Schwung zu bringen. Es gibt in einem Teil bundesdeutscher Kommunen ein weitaus größeres Chaos, aber auch die Hansestadt zeigt die ersten Symptome einer Überforderung. Angesichts der großen Probleme, vor der auch Hamburg angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen steht, wird auch hier ein Ausweg in der Abschreckung und beschleunigten Abschiebung gesucht. 

Die politischen Unterschiede zwischen der hanseatischen und bayrischen Flüchtlingspolitik sind gering. Bürgermeister Scholz zeigt sich offen für den Vorstoß des an der Grenze zum Rechtpopulismus agierenden CSU-Politikers Seehofer, separate Aufnahmezentren für Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive – etwa aus westlichen Balkanländern – in Deutschland aufzubauen. »Es geht um schnellere, unbürokratische Entscheidungen«, sagte Scholz. »Dazu gehören auch spezialisierte Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive.«

Scholz hat Sympathien für die bayrische Initiative in Sachen Flüchtlingspolitik, versucht allerdings die Ab-und Ausgrenzung freundlicher zu kommunizieren. Seehofer hatte in einer Plenardebatte des bayerischen Landtags bekräftigt, es gehe darum, schutzbedürftigen Asylbewerbern zu helfen, aber Asylmissbrauch zu verhindern. »Der Begriff Asylmissbrauch ist verfehlt«, stellt Scholz fest. Es gehe nicht um schlechtere Standards, Drohungen mit Zelten oder weniger Taschengeld. »Es ist ärgerlich, dass die martialischen Töne aus Bayern das gemeinsame Anliegen überlagern.«

Es ist ärgerlich, dass der erste Bürgermeister der Stadt sich auf die eine ressentimentgeladene und -fördernde Sortierung von Fluchtsuchenden einlässt. Damit werden weder die wachsenden Verwaltungsprobleme gelöst, noch die aufsteigenden Ressentiments in Teilen der Bevölkerung  zurückgedrängt. Die Hansestadt hat das Potenzial – effiziente Verwaltungsstrukturen, finanzielle Spielräume und engagierte Begleitung aus der Zivilgesellschaft – diese Tragödie zu meistern. Wo, wenn nicht hier, könnte eine Willkommenskultur entfaltet werden, die den bei uns Hilfe Suchenden eine Perspektive für Arbeiten und Leben eröffnet.

Die große und noch wachsende Zahl von Zuflucht Suchenden sind für die städtische Verwaltung unbestreitbar eine große Herausforderung. Allein in der ersten Juli-Hälfte kamen 2.927 Flüchtlinge nach Hamburg. Der Senat war zu Jahresbeginn noch von durchschnittlich 800 Flüchtlingen im Monat ausgegangen. Diese Zahlen sind Makulatur. Rembert Vaerst, Geschäftsführer des städtischen Unternehmens fördern & wohnen, fasst die aktuelle Situation so zusammen: »Wir stehen vor Herausforderungen, die wir vor einigen Monaten noch nicht absehen konnten. Derzeit leben in der Erstaufnahme 7.000 Menschen und in der Folgeunterbringung 13.500. Ich rechne damit, dass bis Ende dieses Jahres noch rund 11.000 Flüchtlinge nach Hamburg kommen werden. Insgesamt werden dann etwa 31.000 Flüchtlinge in der Hansestadt leben.« Derzeit sind in Hamburg an 86 Standorten knapp 19.000 Flüchtlinge untergebracht. Rund 20.000 weitere Plätze sollen in großen Containerdörfern mit jeweils 3000 Plätzen entstehen.

Vergleicht man das mit den letzten Planzahlen der Behörden zeigt sich der Anpassungsbedarf. Danach ging man für dieses Jahr von 10.000 Flüchtlingen aus. Bis Jahresende sollten für die Flüchtlinge insgesamt 22.000 Plätze in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung geschaffen werden. Zieht man davon die 3.500 Plätze für Wohnungslose ab, kommt man auf 18.500 Einheiten. Addiert man dazu 7.000 Plätze in der Erstaufnahme fehlen bei 31.000 Flüchtlingen noch 5.500 Unterkunftsmöglichkeiten. Und: Von den schon geplanten Unterkünften sind auch noch 5.000 Plätze offen.

Durch die aktuell und absehbar fehlenden Wohnunterkünfte entsteht ein enormer Druck für die vielen aktuell nach Hamburg kommenden Schutzsuchenden Unterbringungsmöglichkeiten zu organisieren. Dies gelingt aktuell nur durch drastische Notfallmaßnahmen.

»Die Unterbringung von Flüchtlingen in unserer Stadt bleibt eine Herausforderung. Angesichts der Zugangszahlen bitte ich um Verständnis dafür, dass wir auch auf kurzfristige Lösungen setzen müssen. Das heißt im Einzelfall auch, geeignete Flächen unverzüglich zu nutzen – auch mit Zelten als Übergangslösung», erklärt Sozialsenator Scheele. »Das wird die Stadt und das Stadtbild verändern. Auch SPD-Fraktionschef Dressel betont, die Bevölkerung müsse sich angesichts der Flüchtlingszahlen an größere Unterkünfte gewöhnen. »Da kann es jetzt keine Denkverbote geben. Es wird sicher die ein oder andere größere Einheit geben, auch in Gewerbegebieten oder in landwirtschaftlichen genutzten Bereichen.«
Es geht aber nicht nur um Unterbringung, auch die medizinische und kulturelle Betreuung muss gesichert werden. Beispiel: Die Zahl der schulpflichtigen Flüchtlingskinder hat sich  in den vergangenen drei Monaten fast verdoppelt. Inzwischen müssen 3.833  Kinder ein schulisches Unterrichtsangebot erhalten, 1.090 davon aus der Erstunterbringung. Nach den Sommerferien plant der Senat, 15 neue Klassen einzurichten. Das bedeutet eben auch für Räume und entsprechendes Personal zu sorgen. Aktuell kümmern sich 177 Lehrer um Flüchtlingskinder.

Ein großer Teil der in Hamburg ankommenden Flüchtlinge wird auf andere Bundesländer verteilt. Nach dem Königsteiner Schlüssel übernimmt Hamburg gut 2,5 Prozent der AsylbewerberInnen. Gleichwohl muss sich die Hansestadt auf einen deutlichen Ausbau der Wohnmöglichkeiten für hier lebende Flüchtlinge einstellen. Die städtische Einrichtung »Fördern & Wohnen« kümmert sich im Auftrag der Stadt um die Unterbringung der Flüchtlinge. Zu den Problemen gehört aber nicht nur, die notwendige Zahl der Betten bereitzustellen. Es geht auch um ein Personalangebot. Schon jetzt sind  40 Stellen unbesetzt. »Bis Jahresende benötigen wir zusätzlich 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um Flüchtlinge zu betreuen. Gesucht werden  vor allem Sozialpädagogen, Sozialökonomen und Kulturwissenschaftler, aber auch sozialkompetente Hausmeister.«

Innensenator Michael Neumann (SPD) will zur Behebung der Unterkunftsnot mehrere Erstaufnahmen mit weiteren 20.000 Plätzen errichten zu lassen. Dazu soll jeder der sieben Hamburger Bezirke eine Unterkunft mit bis zu 3.000 Plätzen erhalten. Auch Rembert Vaerst befürwortet angesichts der hohen Flüchtlingszahlen größere Einrichtungen. Er sieht nicht, dass es in großen Unterkünften vermehrt zu Konflikten kommt. »Entscheidend für den sozialen Frieden ist die Belegungsstruktur«, sagte Vaerst. »Da, wo sich Gruppen gut ergänzen, gibt es weniger Probleme.«

Selbstverständlich kann es in Ansehung der großen Zahl der Zufluchtsuchenden nicht um »Denkverbote« gehen. Kurzfristig mag es notwendig sein, auch ohne ausreichende Einbindung der dort wohnenden BürgerInnen mit Hochdruck öffentlichen Flächen in Anspruch zu nehmen, um dort Zelte aufzubauen und Flüchtlinge unterzubringen. Eine Dauerlösung ist dies keineswegs. Angesichts der offensichtlichen Überforderung von Senat und Verwaltung bei der politischen Planung, der Organisation der Hilfsangebote und der Kommunikation mit der Bevölkerung in den Quartieren wäre jetzt eine Art task force, eine behördenübergreifende Koordinierungsstelle, in die auch die Zivilgesellschaft eingebunden ist, dringlich erforderlich, wie sie etwa die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg für die Wohnraumversorgung angedacht hat.

Die aus dieser Situation resultierende finanzielle Belastung, es wird mit Gesamtkosten von 600-700 Mio. Euro (wenn die große Zahl an neu Schutzsuchenden im Juni/Juli sich in den nächsten Monaten fortsetzt, können es auch 800 Mio. Euro werden), damit mindestens einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr, gerechnet, ist für die Stadt tragbar. Denn erstens kann sie 2015 erneut mit Steuermehreinnahmen von 700-800 Mio. Euro rechnen. Zweitens hat der Senat, wie in den Haushaltsplänen zuvor, Reservepositionen für Haushaltsrisiken und Budgetaufstockungen eingestellt, auf die zurückgegriffen werden kann. Und drittens hat der Bund eine Unterstützung für 2015 von 12,5 Mio. Euro auf 25 Mio. Euro verdoppelt. Bundesweit verdoppeln sich die Kosten für die Flüchtlingsbetreuung  auf rund fünf bis sechs Mrd. Euro.
Allerdings geht es auch beim Thema Finanzen um Transparenz und Öffentlichkeit. Schon hat sich die »Bild-Zeitung des Themas unter der Überschrift »149 Euro Taschengeld + 82 Euro Hygienepaket + 675 Euro Unterbringung | Das kostet Hamburg ein neuer Flüchtling im Monat« angenommen. Dort wird genau vorgerechnet, wieviel ein Flüchtling die Stadt kostet. Zwar wird noch einschränkend formuliert: »Die Flüchtlinge werden ausreichend versorgt, aber mit Luxus hat das Ganze nichts zu tun.« Von hier bis zur Rechnung, was »uns« die »Armutsflüchtlinge« aus »den Balkanländern« kosten ist es allerdings kein weiter Weg.

Die Aufgabe besteht also darin, kurzfristig für die elementare Versorgung – Unterkunft, Verpflegung, medizinische und schulische Betreuung – zu sorgen; mittelfristig muss eine Integration der Flüchtlinge bewältigt werden. Die Aussortierung von »Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive«, die auch von Innensenator Neumann favorisiert wird, ist keine vernünftige oder gar realisierbare Perspektive. Dennoch nehmen entsprechende Überlegungen einen hohen Stellenwert ein: »Wir fahren eine sehr konsequente Linie, gerade was die Balkanländer angeht. Es ist schon abstrus, dass wir 50 Prozent aller Flüchtlinge aus dem Balkan haben.« Bei deren Herkunftsländern handele es sich um Staaten, die der EU beitreten wollen. Es gebe keine Bleibeperspektive für diese Menschen. Ihre Fälle würden jedoch Hamburg und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge »wahnsinnig beschäftigen und belasten«. Innensenator Neumann fügte hinzu, es gehe darum, »diese Leute möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurückzuschicken und mit einem Sperrvermerk zu versehen, damit sie nicht wieder einreisen.« Die Perspektive einer Rückführung unterstellte, dass in den so genannt sicheren Herkunftsländern Armutsbekämpfungsprogramme aufgelegt würden.

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) will ein auch in seiner eigenen Bundespartei umstrittenes Vorhaben vorantreiben: Kosovo und Albanien sollen zu sicheren Herkunfts-Staaten erklärt werden. Die juristische Abgrenzung ist gewiss keine »Good Governance«. Der Jurist gerät an seine Schranken: »Das Asylrecht ist eindeutig. Wir müssen denjenigen helfen, die aus Kriegsgebieten buchstäblich um ihr Leben laufen. Alle anderen müssen in ihre Heimat zurückkehren, wenn sie keine von unseren Gesetzen akzeptierten Fluchtgründe und damit keine Bleibeperspektive haben.« Serben, Albaner oder Kosovaren, die in Deutschland einen Arbeitsplatz finden, sollten diesen auch antreten können, sagt Scholz. »Das werden nicht viele sein, aber es wird viele abhalten, den Weg über das Asyl zu gehen.« Aus Sicht von Scholz hat diese juristische Veränderung einen klaren Vorteil: Wer auf diese Weise nach Hamburg kommt, habe »keine direkten Ansprüche auf soziale Leistungen«. Danach würden im Idealfall nur jene Menschen einreisen, die einen Arbeitsplatz nachweisen können. »Dagegen sind wir bei jedem Asylbewerber verpflichtet, ihn unterzubringen und zu versorgen.«

Die Initiative »Pro Asyl« hält den Vorstoß mit den »sicheren Drittstaaten« zurecht  für inhuman und falsch. Im vergangenen Jahr wurden Serbien und Bosnien dazu erklärt und die Zahl der AsylbewerberInnen aus diesen Ländern sei nicht gesunken. Ein Pro-Asyl-Sprecher: »Sie versuchen ihr Glück trotzdem. Lieber Deutschland im Zelt als obdachlos zu Hause.« Scholz und seine rechtskonservativen und rechtspopulistischen Freunde sind längst am Ende ihres Lateins.

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