Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

Einblicke in 20 Jahre
»Institut für Staatspolitik«
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Friedrich Engels zum 200.

Reiner Rhefus
Friedrich Engels im Wuppertal
Auf den Spuren des Denkers, Machers und Revolutionärs im »deutschen Manchester«
184 Seiten | in Farbe | Hardcover | zahlreiche Fotos | EUR 16.80
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Lebenswertes Hamburg
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Karl Marx war fünf mal in Hamburg?

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Karl Marx in Hamburg
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Starke Einführung

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Linke Kommunalpolitik –
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Für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene
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Crashkurs Kommune 12
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ISBN 978-3-89965-799-9

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DenkMal Friedhof Ohlsdorf
33 Stätten der Erinnerung und Mahnung | Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft – Geschichtswerkstatt e.V.
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Das etwas andere Kochbuch

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Michael Töteberg
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368 Seiten | viele Farbfotos | Hardcover | EUR 19.80
ISBN 978-3-89965-578-0

11. Oktober 2016 Bernhard Sander: Aktive Arbeitsmarktpolitik in NRW ist dringend

Alarmierender Ausschluss vom Arbeitsmarkt

Nordrhein-Westfalen hat bekanntlich Probleme, mit dem Wirtschaftswachstum der Republik mitzuhalten. Das hat zunehmend negativere Folgen für den Arbeitsmarkt im Sinne einer Einbetonierung von 324.000 Menschen in die Langzeitarbeitslosigkeit. Das macht die von Frank Bauer, Duncan Roth und Georg Sieglen verfasste IAB-Studie »Langzeitarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen. Strukturen, Entwicklungen und Abgänge in Beschäftigung« (IAB-Regional 2/2016) deutlich.

Die politische Brisanz kommt in dem Fazit der Studie zum Ausdruck: »Es ist davon auszugehen, dass hier sowohl die Ferne zum Erwerbsleben zu Beeinträchtigungen der Produktivität als auch die mit Langzeitarbeitslosigkeit häufig verbundenen Teilhabeprobleme zu einer Einschränkung des subjektiven Zugehörigkeitsempfindens zur Gesellschaft im Allgemeinen führen. Will man das Thema ›Verfestigung von Arbeitslosigkeit in der individuellen Erwerbsbiografie‹ noch mit einer weiteren Information vertiefen, lässt sich hinzufügen, dass sich die Zeiten in Arbeitslosigkeit während der vorausgegangenen fünf Jahre bei rund einem Drittel der Langzeitarbeitslosen auf mindestens vier Jahre kumulieren und die Beschäftigungszeit in der übrigen Zeit auf weniger als einen Monat. Individuelle Verfestigung ist mithin nicht nur ein schwerwiegendes subjektives Problem, sie nimmt auch im Hinblick auf ihre quantitative Verbreitung in Nordrhein-Westfalen einen alarmierenden Stellenwert ein.« /45/

Die Studie stellt fest, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen immer weiter steigt. Zwar neigt sich die Kurve der Arbeitslosigkeit oberflächlich betrachtet zum besseren, aber der Anteil der Langzeitarbeitslosen steigt in NRW zwischen 2012 und 2015 von 42% auf 43,5%. Noch immer sind die höchsten Quoten auf einer Diagonale vom Ruhrgebiet bis zur niederländischen Grenze angesiedelt, während im Nordwesten faktisch Vollbeschäftigung herrscht.« Vom südwestlichen Aachen bis hin zum nordöstlichen Lippe zieht sich über die Rheinschiene, das Bergische Land und das gesamte Ruhrgebiet ein kontinuierlicher »Teppich« von Kreisen, in denen der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen zwischen 41,6% und 60,0% liegt.« /17/ Diese regionalen Unterschiede machen eine regionalisierte Strategie notwendig.

Die Arbeitslosigkeit verfestigt sich in NRW bis zum faktischen Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Drei Viertel der Langzeitarbeitslosen haben in den vergangenen drei Jahren weniger als einen Monat arbeiten können: »Bezogen auf die vorausgegangenen drei Jahre summierten sich bei 73% der Langzeitarbeitslosen die Beschäftigungszeiten zum 31.12.2014 nur auf bis zu einem Monat; bezogen auf die vorausgegangenen fünf Jahre waren es immerhin noch 58%.« /20/ Die Zahl dieser »Arbeitmarktfernen« steigt zwischen 2012 und 2014 trotz positiver (oder zumindest nicht negativer) Wirtschaftsentwicklung von rd. 136.000 auf 153.000 Menschen also um etwa 12,5% in nur drei Jahren, was kein Erfolgsausweis für die rot-grüne Landesregierung ist. Sie konzentrieren sich mit besonders hohen Anteilen in den Arbeitsamtsregionen Dortmund, Bochum, Essen.

Das Etikett »Arbeitsmarktferne« unterstellt, dass die Problematik in persönlichen Defiziten der Betroffenen liegt. Doch zeigen die Zahlen des IAB das Gegenteil. In den stark betroffenen Gebieten Dortmund, Bochum, Essen, aber auch Wuppertal ist z.B. der Anteil von Menschen über 50 in dieser Gruppe weitaus geringer als in den schon immer strukturschwachen Gebieten der Arbeitsamtsbezirke Olpe, Siegen, Höxter, Borken. »Der scheinbare Widerspruch löst sich empirisch so auf, dass in den betreffenden Regionen zwar absolut auch eine hohe Zahl älterer Langzeitarbeitsloser verzeichnet wird, zugleich aber die Langzeitarbeitslosigkeit auch viele Jüngere betrifft. Das ›relativiert‹ die Größe des Anteils der Älteren.« /26/ Die Strategie der frühen Zwangsverrentung wird also das Problem der steigenden Zahl von Ausgeschlossenen nicht beseitigen.

Die Jobcenter haben eine Reihe von offenbar untauglichen Vermittlungsinstrumenten angewandt, um das Problem der (Langzeit-)Arbeitslosigkeit nicht ausufern zu lassen, bzw. haben sich offenkundig nur noch auf die »leichter Vermittelbaren» konzentriert. Zentrales arbeitsmarktpolitisches Ziel der Jobcenter bleibt es, Arbeitslosigkeit möglichst frühzeitig nach ihrem Eintreten zu beenden.

Aus der Arbeitslosigkeit verschwindet man offiziell aus drei Gründen: die Aufnahme einer Beschäftigung, die Teilnahme an einer Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktpolitik oder das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Das IAB untersuchte folgende Fragen: »Wie viele Personen können pro Jahr die Arbeitslosigkeit aufgrund der Aufnahme einer Beschäftigung beenden und welchen Anteil an allen Übergängen bzw. am jeweiligen Vorjahresbestand der Arbeitslosen machen die Beschäftigungsaufnahmen aus?« /27/

»Während etwa jede dritte arbeitslose Person, die die Arbeitslosigkeit beenden kann, in Beschäftigung übergeht, ist es bei den Langzeitarbeitslosen nur etwa jede sechste.« /29/ Da die Vermittlung offenbar weniger Erfolgsaussichten hat, steigt in NRW die Bedeutung der – sanktionsbewehrten – »Maßnahmen«. Für die sogenannten Arbeitsmarktfernen lag die Vermittlung in Beschäftigung 2014 nur noch bei 11%, Tendenz seit 2012 klar sinkend. Nur jeder Zehnte, der in den letzten drei Jahren weniger als einen Monat erwerbstätig war, wurde in Arbeit vermittelt.

Die Arbeitgeber sind also offenkundig wählerisch. Das IAB hat ermittelt, dass in NRW unter den sogenannten Arbeitsmarktfernen vor allem ein besonders hoher Anteil bei den Deutschen, SGB II-Anspruchsberechtigten (Vermittlung nach Kassenlage), ohne Behinderungen zwischen 25 und 50 Jahren vermittelt wurden.

Bei den vermittelten Arbeitsuchenden allgemein finden sich diese Kriterien genauso wieder, mit zwei charakteristischen Ausnahmen: Die Jobcenter vermitteln einen noch etwas höheren Anteil an Deutschen, Männern und Jüngeren (unter 35 Jahren 35%), dafür relativ weniger SGB II-Anspruchsberechtigte und an Menschen ohne Berufsausbildung. Bezogen auf den Gesamtbestand der Arbeitssuchenden sind die Vermittlungszahlen stellen sich die Anteile der vermittelten Gruppen noch dramatischer dar. Damit trägt die Arbeitsagentur insgesamt auf lange Sicht zur Verfestigung ihres Sockels an »Arbeitsmarktfernen« selbst bei.

Vermittlung in Beschäftigung heißt nun keinesfalls die Möglichkeit, dass Arbeitslose in ein Normalarbeitsverhältnis wechseln. Die Branchen kennen da sehr unterschiedliche Vertragsbedingungen. Wenn 87% aller Vermittlungen (bei den »Arbeitsmarktfernen« 82%) in eine sozialversicherte Tätigkeit gehen, scheint auf den ersten Blick alles in Ordnung zu sein, vor allem, weil die anderen Anteile schwerpunktmäßig in Ausbildung bzw. geförderte Beschäftigung vermittelt werden. Doch ein Viertel dieser Vermittlungen sind gleichwohl prekär, da sie in die Zeitarbeitsfirmen gehen. »Angesichts der Tatsache, dass nur 3% aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auf diesen Beschäftigungstyp entfallen, muss konzediert werden, dass Zeitarbeit eine Beschäftigungsform besonders für ehemalige Arbeitslose und Langzeitarbeitslose darstellt. Damit kommt die Ambivalenz zum Ausdruck, dass hier einerseits überproportional viele Beschäftigungschancen für diesen Personenkreis bestehen, andererseits aber damit auch die bekannten Nachteile der Zeitarbeit verbunden sind, nämlich vor allem relativ kurze Beschäftigungsdauern.« /46/

Nach dieser »Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften« folgt an zweiter Stelle der Einzelhandel (ohne Handel mit Kfz), wohin jeder Zehnte geschickt wird. Es folgen in der eigenwilligen Systematik der Arbeitsbehörde die Gebäudebetreuung und Gartenbau und die ebenfalls schlecht bezahlte Gastronomie. In diese vier Branchen gehen die Hälfte aller vermittelten »Arbeitsmarktfernen« und insgesamt 40% aller aus dem Bestand vermittelten Arbeitslosen. Zwei Drittel aller Arbeitssuchenden gehen in Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten über; aber für die »Arbeitsmarktfernen» scheint der Übergang in einen ein Klein- und Mittelbetrieb wahrscheinlich.

Ungefähr ein Drittel aller Vermittelten und ein Viertel der »arbeitsmarktfernen« Langzeitarbeitslosen schafft es, länger als ein Jahr in der Leiharbeitsfirma zu bleiben. In den ersten zwei Jahren haben die aus der Arbeitslosigkeit Vermittelten dennoch weitere 150 Tage Arbeitslosigkeit zu verkraften; die arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen sogar das Doppelte (fast 300 Tage). Das IAB kommt zu dem Ergebnis: »Als Zwischenfazit steht der ambivalente Befund, dass Leiharbeit für ein Viertel aller Übergänge aus Arbeitslosigkeit steht, dass aber für diese Chance gilt: Sie ist dadurch geprägt, dass hier seltener lange Beschäftigungsverhältnisse entstehen und ebenso seltener der Beginn einer stabilen, von dauerhafter Erwerbstätigkeit geprägten fortgesetzten Erwerbskarriere.« /44/

Faktisch führt der Weg die meisten also relativ rasch (zurück) in das Hartz IV-Regime. Arbeitslosigkeit ist keine subjektiv-biografisch wegsteckbare abgegrenzte Episode, sondern eine Form des prekären Lebens, die von realer Teilhabe ausschließt. Die Drehtür wird zum Sinnbild der Erwerbsbiografie. Ein Leben ohne materielle Teilhabe begünstigt den Rückzug aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben. Insbesondere für jüngere Menschen ist eine solche Perspektive nicht zumutbar. Hier setzen einerseits gewerkschaftliche Forderungen an, die die Flexibilität und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse zurückdrängen im Sinne gute Arbeit.

Die IAB-Studie selbst kommt zu der Erkenntnis »Für Teile dieser Gruppe der ›arbeitsmarktfernen‹ Langzeitarbeitslosen, deren Erwerbsbiografie nachhaltig durch die Abwesenheit von Erwerbsarbeit geprägt ist, scheint die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarktes, der durch längere Förderketten öffentlich geförderter Beschäftigung gekennzeichnet ist, die einzige Lösung zu sein, um eine Erwerbsintegration noch gewährleisten zu können.« /46/ Aufgrund der Strukturmerkmale der Langzeitarbeitslosigkeit mit sinkenden Übergangschancen sollte dabei die berufliche Qualifizierung im Mittelpunkt der Anstrengungen stehen. Das setzt eine Abkehr von den bisherigen Formen der Weiterbildung voraus, die i.d.R. weniger als 10 Tage dauern.

Eine aktive Arbeitsmarktpolitik sollte sich auf bestimmte Regionen des Ruhrgebiets und des bergischen Landes konzentrieren. »Gerade angesichts der für Nordrhein-Westfalen besonders auffälligen Problematik einer großen Zahl von jungen Langzeitarbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist der Bedarf an zusätzlichen Möglichkeiten, hier zu qualifizieren, eindeutig.« /47/

Eine aktive Arbeitsmarkt wird von der Wissenschaft wie auch der Praxis immer wieder gegenüber der Politik angemahnt, deren Realisierung aber nicht nur wegen fehlender finanzieller Ressourcen, sondern auch angesichts eines mit Blick auf diese Strategie völlig kontraproduktiven, restriktiven Förderrechts blockiert. Diese Blockade muss nach der Landtagswahl gelöst werden. Die Zeit der Modellversuche ist vorbei.

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