Der rechte Rand

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16. Juni 2017 Björn Radke

Jamaika in Schleswig-Holstein: Grüne Gratwanderung?

Quelle: dpa

Die Grünen können sich angesichts ihrer Umfragewerte vor der Bundestagswahl keinen Fehler mehr erlauben. Trotzdem stürzte sich die Partei – vor allem die Führung - mit Elan in Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP. Knapp einen Monat nach der Landtagswahl vom 7.Mai haben CDU, Die Grünen und die FDP ihre Verhandlungen über die Bildung einer „Jamaika“-Koalition erfolgreich abgeschlossen und mit stolzer Brust ihren Vertrag der Öffentlichkeit vorgelegt.

Vorbehaltlich der Zustimmung der Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie des Landesparteitages der CDU ist die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages für den 27. Juni 2017 geplant.

Die Begeisterung ist deutlich: „Die intensiven Verhandlungen haben sich mehr als gelohnt. Wir haben nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, sondern aus den Schnittmengen unserer unterschiedlichen Politikansätze ein echtes gemeinsames Projekt entwickelt. Das wird in allen Kapiteln unseres Vertragsentwurfes deutlich“, erklärte der CDU-Landesvorsitzende und -Verhandlungsführer Daniel Günther.

„Ökologisch, gerecht und sozial - dafür haben wir im Wahlkampf geworben und diese Leitgedanken ziehen sich durch den gesamten Vertrag. Es war mir wichtig, dass wir als gleichberechtigte Partner an Ideen für die Zukunftsgestaltung unseres Landes gearbeitet haben. Ich werde der Grünen Partei die Annahme des Vertrages empfehlen“, so die Grüne Verhandlungsführerin Monika Heinold.

„Ich danke allen Beteiligten für die in den vergangenen Wochen geleistete Arbeit. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Wir haben gemeinsam eine Vorstellung entwickelt, wie Schleswig-Holsteins Zukunft aussehen soll. Weltoffen, wirtschaftlich wie ökologisch stark – menschlich. Auf dieser Grundlage kann und wird es uns gelingen, Schleswig-Holstein in den kommenden fünf Jahren entscheidend nach vorne zu bringen,“ sagte der FDP-Verhandlungsführer und -Landesvorsitzende Dr. Heiner Garg.

Schon im Titel des 113 Seiten starken Vertragswerkes „Das Ziel verbindet: weltoffen - wirtschaftlich wie ökologisch stark – menschlich“ (1) deutet sich an, wo diese Koalition die Schwerpunkte setzt, und welche Problemlagen nur eine untergeordnete Rolle spielen: Die anhaltende soziale Spaltung der Gesellschaft in Schleswig-Holstein und eine marode Inrastruktur sowie Personalmangel scheint es in der Wahrnehmung der Koalitionäre nicht zu geben. Zum Thema Altersarmut und Kinderarmut muss man schon den Absatz mit der Lupe suchen. Immerhin haben in Schleswig-Holstein haben am Jahresende 2015 mehr als 20.200 Menschen über 64 Jahren vom Staat Geld aus der Grundsicherung erhalten, weil das Einkommen nicht für das Existenzminimum gereicht hat. Ende 2015 waren 60% der Unterstützten Frauen. Auffällig ist, dass nicht erst der Umzug in ein Pflegeheim den Gang zum Sozialamt notwendig macht: Nur 14% der HilfebezieherInnen lebten im Heim. 80% dagegen lebten noch selbstständig und benötigten Grundsicherung, weil Altersrente und andere Bezüge zu niedrig waren. Fast jeder Dritte war zuvor bereits auf Arbeitslosengeld II angewiesen und 16% auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Das zeigt: Arbeitslosigkeit oder Beschäftigung im Niedriglohnsektor führen in zunehmendem Maße zu Altersarmut.

Obwohl die Wirtschaft in Deutschland boomt, rutschen immer mehr Kinder in die Armut ab. In Schleswig-Holstein stieg die Quote der Kinder in Hartz IV-Haushalten zwischen 2011 und 2015 von 14,7 auf 15,3% an. 70.913 Kinder unter 18 Jahren leben hier in Familien, die Grundsicherungsleistungen erhalten, sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Das sind 1.000 mehr als noch 2011. Landesweit sind vor allem drei- bis sechsjährige Kinder von Armut betroffen. Bei ihnen liegt die Quote bei 18,8%. Bei 53,9% der Familien hält die Dauer der Abhängigkeit von Sozialleistungen schon seit über drei Jahren an. Es sind immer noch vor allem Familien alleinerziehender Mütter und Väter, die von Armut betroffen sind. Ihre Kinder machen in Schleswig-Holstein 51,9% aller Kinder in Bedarfsgemeinschaften aus. Lapidare Antwort im Koalitionsvertrag: Man will „mit präventiven Maßnahmen Armut und soziale Ausgrenzung vermeiden.“ Worin diese präventiven Maßnahmen bestehen sollen, darüber findet sich nichts. Dafür aber soll geprüft werden, „ wie für Familien, die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beziehen, eine Mahlzeit ihrer Kinder in der Kita oder Tagespflege ohne Eigenbeteiligung möglich ist.“

Energisch und konkret allerdings wird die Koalition, wenn es darum geht „bürokratische Hürden“ für mittelständische Unternehmen abzubauen. „Insbesondere im öffentlichen Vergaberecht sehen viele mittelständische Unternehmungen durch zu viele bürokratische Vorgaben einen zu hohen Aufwand oder werden inzwischen sogar oft daran gehindert, an öffentlichen Ausschreibungen überhaupt noch teilzunehmen. So gehen für Beschäftigte und kleine und mittlere Unternehmen oft Chancen zu Lasten von Großunternehmungen verloren. Das Tariftreue- und Vergabegesetz werden wir auf Grundlage der Vorschläge der bisherigen Evaluation weiterentwickeln und ein neues mittelstandsfreundliches Vergaberecht gestalten, das auch insbesondere kleinen Betrieben die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen von Land und Kommunen ermöglicht.“

Deshalb wird die Koalition die Höhe des Landesmindestlohns einfrieren und das Gesetz 2019 auslaufen lassen. „Gleichzeitig halten wir nach Einführung des Mindestlohns auf Bundesebene den Landesmindestlohn für entbehrlich.“ Noch im Januar hatte die Küstenkoalition von SPD, Grünen und SSW diesen auf 9,99 € angehoben. Begründet wurde die Erhöhung mit der Angleichung des Mindestlohns an den niedrigsten Eingangstarif bei der Bezahlung im öffentlichen Dienst. Der gesetzliche Mindestlohn stieg Anfang des Jahres von 8,50 Euro auf 8,84 Euro. Der Abstand zwischen dem Bundes- und dem Landesmindestlohn war damit nochmals gewachsen – von 0,68 Euro auf jetzt 1,06 Euro.

In dieser Frage war man sich in den Koalitionsverhandlungen schnell einig geworden. Von einem Widerstand der Grünen ist nichts zu vermelden. Anders dagegen bei der Fehmarnbelt-Querung. Dort hatten die Grünen Änderungsbedarf angemeldet, der bei den Verhandlungen einen Aufschrei bei der FDP auslöste und Wolfgang Kubicki zu der Aussage veranlasste, er sehe die Chancen für Jamaika nur noch bei 20 Prozent. Diese Drohung hat wohl schon gereicht, um sich letztlich auf eine unverbindliche Passage in dem vorliegenden Text einigen zu können: „Die negativen Auswirkungen der Hinterlandanbindung – wie z.B. die Lärmbelästigung insbesondere in einigen Orten in Ostholstein - müssen so gering wie möglich gehalten werden. Die Anbindung des Fährhafens in Puttgarden werden wir vernünftig regeln. Wir werden prüfen, ob die sogenannte „2+1-Variante“ für den Erhalt der touristisch wertvollen Bäderbahn realisierbar und finanzierbar ist.“

Charakteristisch für diesen Vertrag ist seine Unverbindlichkeit in den meisten Feldern. So auch in Bereich des Wohnungsmarktes. Eines der großen ungelösten Probleme ist der mangelnde bezahlbare Wohnraum. Zwischen 2010 und 2014 sind nach Zahlen des Statistikamtes Nord knapp 34.000 neue Wohnungen in Schleswig-Holstein entstanden. Das entspricht einem Anstieg von 2,4%. In derselben Zeit sind aber 77.000 Menschen mehr nach Schleswig-Holstein gezogen als das nördlichste Bundesland in umgekehrte Richtung verließen. Auch diese Koalition sieht politischen Handlungsdruck: „Die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmietmarkt ist auch in Schleswig-Holstein erheblich. Die Erfahrungen mit den Instrumenten der sog. Mietpreisbremse und der Kappungsgrenzenverordnung zeigen für Schleswig-Holstein, dass der angestrebte Effekt, nämlich die Sicherung stabiler Mietpreise, nicht eingetreten ist. Deswegen werden wir die entsprechenden Verordnungen durch geeignetere Instrumente ersetzen.“ Welcher geeigneten Instrumente gemeint sein könnten, bleibt aber im Dunkeln.

Grundsätzlich sind alle vorgestellten Maßnahmen unter „Finanzierungsvorbehalt“ gestellt, und  bleiben damit unverbindlich und vage. Das Programm Impuls (Investitions- und Modernisierungsprogramm für das Land Schleswig-Holstein) wird weiter entwickelt. Über die gesamte Legislaturperiode sind zusätzliche Investitionsmaßnahmen im Umfang von über 500 Millionen Euro mit den Schwerpunkten Mobilität, Bildung und Gesundheit vereinbart worden, also  100 Mio. € pro Jahr. In einem Infrastrukturbericht hatte die Vorgänger-Regierung den Sanierungsbedarf auf 4,85 Mrd. Euro beziffert. Davon waren 2,7 Mrd. Euro schon gedeckt. Auch hier reichen die gesteckten Ziele des Vertrages nicht. Weiterhin soll im öffentlichen Sektor weiteres Personal eingespart werden. „Der Personalabbaupfad umfasst in den Jahren 2017 bis 2020 noch rund 2.100 abzubauende Stellen, davon rund 1.600 Lehrerstellen. Der Abbaupfad wird grundsätzlich umgesetzt. Nennenswerte Ausnahmen gibt es im Bereich der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Polizei. Die Stellenmehrbedarfe im Schulbereich orientieren sich am Ziel, spätestens bis 2022 eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung in allen Schulen zu sichern sowie an den weiteren im Koalitionsvertrag vereinbarten Schwerpunkten im Bildungsbereich.“

Alle drei Parteien sind gegenseitig des Lobes voll über ihren Koalitionsvertrag und des darin gefundenen Kompromisses. FDP-Chef Wolfgang Kubicki sprach jetzt in einem Zeitungsinterview sogar davon, dass das neue Bündnis die „zivilisatorische Distanz zwischen FDP und Grünen gewaltig verringern“ könnte. Monika Heinold meint sogar, jedes Kapitel des Vertrages trage eine grüne Handschrift. Und der Verhandlungsführer der FDP, der künftige Sozialminister Heiner Garg, meinte: „Ich glaube, dass dieses Bündnis eine echte Chance für Schleswig-Holstein sein kann.“

Der Kompromiss bei der Windkraftnutzung sieht so aus, dass künftig die Höhe der Anlagen den Abstand zur Wohnbebauung bestimmen soll. Die Autobahn 20 soll zügig weitergebaut werden – jedenfalls in den Abschnitten, für die Planungsrecht vorliegt. Zusätzliche 120 Millionen Euro sind für die Investitionen in Straßen vorgesehen. Zugleich will die Koalition 40 Millionen Euro für den öffentlichen Nahverkehr und je zehn Millionen für E-Mobilität und für den Ausbau des Radwegenetzes bereitstellen. Die Verhandlungspartner sprachen davon, dass Schleswig-Holstein das am meisten mittelstandsfreundliche Bundesland werden soll. In der Innenpolitik wollen die Partner eine umfassende Stärkung der Polizei, jedoch keine Schleierfahndung. Die Koalition will sich in Berlin für ein Einwanderungsgesetz einsetzen. Außerdem soll ein Landesaufnahmeprogramm für 500 besonders schutzbedürftige Geflüchtete aufgelegt werden. So sieht der Kompromiss in der Flüchtlingspolitik aus, die jene unterstützt, die „uns“ nützen, und denen, die wir nicht brauchen.

Das politische Personal ist auch festgelegt: Nach Regierungschef Daniel Günther soll Karin Prien CDU-Bildungsministerin werden. Die CDU beansprucht außerdem das Innen- und Justizressort. Für die FDP soll neben Heiner Garg der frühere Vorstandsvorsitzende von Gruner und Jahr Bernd Buchholz Minister werden (für Wirtschaft und Verkehr). Bei den Grünen bleiben Monika Heinold als Finanzministerin und Robert Habeck als Landwirtschafts- und Umweltminister im Amt.

Bei genauem Hinsehen kann festgehalten werden, dass CDU und FDP ihren Kurs im wesentlichen haben durchsetzen können, dabei aber den Grünen in den nicht entscheidenden Feldern Zugeständnisse gemacht. Umgekehrt haben die Grünen sich mit Sprenkeln begnügt und in den Kernfragen des Haushalts, des der Armutsbekämpfung und der Arbeitswelt geräuschlos jeden sozialen Anstrich geräumt.

Dass diese Strategie der Grünen auch von der Basis getragen wird, die bis zum 26. Juni online über den Koalitionsvertrag abstimmen soll, ist wohl sicher. Die Frage ist: wie groß ist der politische Widerstand? Bei diesen Landtagswahlen haben die Grünen noch 12,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler binden können. Das kann sich aber schnell ändern, wenn es um die Konkretisierung der noch vagen Projekte geht. Es wird nicht gut gehen, sich dermaßen schnell und geräuschlos zum Kellner eines schwarzgelben Koch-Duos zu machen.

Drei Monate vor der Bundestagswahl sind die Grünen in einer Situation, in der sie sich keine politischen Fehler mehr erlauben sollten. Zwischen sieben und acht Prozent pendeln sie in Umfragen. Nachdem der wenig glanzvolle Parteitag im November den Sinkflug eingeleitet hatte, kosten jetzt die Niederlagen im Saarland und NRW weitere Sympathien. Jetzt noch ein politisches Zusammenspannen mit einer rechtkonservativen CDU und einer wieder auf erstandenen neoliberalen FDP – wenn das man gut geht.

(1) Alle Zitate sind dem Koalitionsvertrag entnommen.
https://www.cdu-sh.de/sites/www.cdu-sh.de/files/downloads/koa-vertrag_sh_2017_web-version.pdf

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